Liegen lernen
Teenachmittage bei mir veranstaltet, aber darauf geachtet, daß meine Eltern nicht zu Hause waren. Mücke hatte damit nichts am Hut. Er wolle nicht reden, sagte er. Und er haßte »Paföng-Tee«. Ich machte mit, wegen der Mädchen. Ich sah sie mir an und fragte mich, was ich wohl mal mit ihnen tun würde. Dafür nahm ich auch Barclay James Harvest in Kauf.
Wir waren schon in Niedersachsen, gerade durch Hannover durch. Mücke sagte: »Mann, Schäfer, mach doch mal dieses Gewimmer aus! Das ist ja nicht zum Aushalten! Bist du schwul, oder was?« Dann stand Mücke auf und reichte mir eine frische Dose Bier. Mit einer Kopfbewegung bedeutete er mir, ihm zu folgen. Er ging zwei Abteile weiter. Das Abteil, in dem Britta saß. Als er die Tür aufmachte, lachten die sechs Mädchen in dem Abteil. Aber wohl nicht über ihn, sondern über etwas, das sie sich gerade erzählt hatten.
»Hallo, Mädels!« sagte Mücke. Die einzige Antwort war ein unterdrücktes Glucksen. Mücke wandte sich direkt an Britta: »Ich wollte dir gratulieren.«
»Wozu?« wollte Britta wissen.
»Ich habe dich gewählt.«
»Und dazu wolltest du mir gratulieren?«
»Nein. Dazu, daß du gewonnen hast.«
»Danke schön.«
»Mein Kumpel hier will dir auch gratulieren.« Mücke zog mich in Brittas Sichtfeld. Ich versteckte die Bierdose hinter meinem Rücken. Mir war ziemlich warm.
»Ach hallo, du bist es!« sagte Britta und lächelte. Mir wurde noch wärmer, aber immerhin bekam ich auch ein »Hallo!« heraus. Mücke sah mich überrascht und mißtrauisch an.
»Nett von dir, daß du mir gratulieren wolltest«, sagte Britta, stand auf, kam auf mich zu und gab mir die Hand. Sie war ganz weich.
Ein paar Sekunden lang sagte niemand etwas. Dann sagte Britta: »Nett, daß ihr da wart, Jungs, aber wir hatten hier gerade ein sehr ernstes Gespräch unter Frauen und es wäre ganz prima, wenn ihr uns entschuldigen würdet.« Britta lächelte mir noch einmal zu und sagte: »Aber schöne Musik habt ihr da bei euch.« Dann gingen wir zurück in unser Abteil.
»Okay«, sagte Mücke, »Schluß mit der Komödie. Was läuft da zwischen euch?«
»Gar nichts.«
»Blödsinn. Ich habe doch gesehen, wie sie dich angeguckt hat.«
»Ich habe sie einmal kurz getroffen, das ist alles. Hat mich selbst überrascht, daß sie mich überhaupt wiedererkannt hat.«
Mücke sah mich an wie einen Widerstandskämpfer, der im Verhör den Stützpunkt der Rebellen nicht verraten will. Dann ließ er es dabei bewenden.
Als wir in unser Abteil zurückkamen, hatte der lange Schäfer die Musik gewechselt. Es lief jetzt »Berlin« von Fischer Z. Ich sagte: »He, Schäfer, spiel doch noch mal Barclay James Harvest!«, und Mücke sah mich an, als hätte ich plötzlich einen ganz schlimmen Ausschlag im Gesicht.
An der Zonengrenze standen wir fast eine Dreiviertelstunde herum, während zwei Vopos, ein ziemlich junger und ein etwas älterer, durch den Zug liefen und unsere Reisepässe kontrollierten. Als wir weiterfuhren, hockten sie am Ende unseres Ganges auf zwei Notsitzen und ließen uns nicht aus den Augen. Sie trugen blaßgrüne Hemden und Mützen auf dem Kopf, die ihnen ein wenig zu klein waren. Außerdem trugen sie dunkle Brillen, obwohl es draußen bedeckt war. Offenbar hatten sie zu Hause Westfernsehen. Wir waren die dekadente Westjugend, der Grund dafür, daß sie ihren Job gerne machten. Wir benahmen uns auch nicht sonderlich gut. Wir tranken Bier und hörten Musik. Mücke kramte in Schäfers Kassetten herum, fand, was er gesucht hatte, und kurz darauf dröhnte ausgerechnet die Deutsch-Amerikanische Freundschaft ihr »Tanz den Mussolini, tanz den Adolf Hitler« durch den Wagen.
Die Vopos verzogen keine Miene, aber das paßte wohl ins Bild. Mücke reichte das nicht. Er baute sich breitbeinig im Gang auf und starrte seinerseits die Vopos an. Ein paar Minuten lang geschah nichts. Es war jetzt die Frage, wer als erster wegsehen würde. Mücke hielt durch. Er war nicht mehr ganz nüchtern. Fräulein Menke sang inzwischen »Hohe Berge«. Dann stand der jüngere der beiden Vopos auf und kam langsam auf Mücke zu. Mücke bewegte sich nicht. Wir sahen alle zu und hielten die Klappe. Auch aus Brittas Abteil war nichts zu hören. Dann stand der Vopo direkt vor Mücke, nur wenige Zentimeter entfernt. Mücke war viel kleiner als der Mann, der jetzt auf ihn herabsah. Der Vopo stemmte die Hände in die Seiten und Mücke tat es ihm nach. »Ich lieb dich nicht, du liebst mich nicht« kam es jetzt
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