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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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aus den kleinen Lautsprechern. Ich wartete darauf, daß der Vopo Mücke die Hände auf den Rücken drehte und fesselte. Oder daß er ihm seine Pistole an den Kopf hielt. Nichts davon geschah. Dann grinste der Vopo breit. Mücke versuchte auch zu grinsen. Es sah aus, als hätte er Schmerzen. Dann ging der Vopo kopfschüttelnd zu seinem Platz zurück. Der ältere grinste jetzt auch. Eine Zeitlang unterhielten sie sich gedämpft, lachten immer wieder laut auf und sahen zu uns herüber. Mücke grinste uns an. In Griebnitzsee stiegen die beiden Vopos aus. Sie lachten immer noch. 
     
    In Berlin waren wir in einer Fabrik untergebracht, die zu einem Kulturzentrum umgebaut worden war. Je ein großer Schlafraum für Jungs und Mädchen. Tagsüber mußten wir uns alles mögliche ansehen. Viel Nazi-Zeugs. Abends hockten wir im Aufenthaltsraum der Fabrik, tranken Wein und aßen Nudeln. Sudhoff und Frau Jacobs bestanden darauf, daß sich Jungs und Mädchen in gleich starkem Maße am Kochen beteiligten. Mücke und mir gelang es, uns davor zu drücken. Wir besorgten die Getränke. Von einem nahegelegenen Laden besorgten wir Cola, Wasser und die erlaubte Menge Bier und Wein. Mücke ließ auch noch eine Flasche Whiskey mitgehen. Er schob sich die Flasche in die Jacke, und als wir an der Kasse standen, schwitzte ich, aber es ging gut. Mücke grinste.
    An diesen Abenden brachte ich es nicht fertig, Britta anzusprechen. Sie selbst hielt es auch nicht für nötig. Ein paarmal unterhielt ich mich mit Gisela, von der ich Mathe abschrieb, wenn ich keine Lust hatte, mich an den langen Schäfer zu wenden. Mücke dichtete mir gleich eine Affäre mit ihr an, aber ich verzog nur höhnisch den Mund.
    Am letzten Tag fuhren wir rüber nach Ost-Berlin. Am Tag zuvor hatten wir am Reichstag gestanden, in die Spree geblickt und uns die Kreuze angesehen, die dort aufgestellt worden waren, um an die zu erinnern, die beim Versuch, in den Westen zu kommen, ertrunken oder erschossen worden waren.
    Zuerst standen wir Schlange unterm Bahnhof Friedrichstraße. Wir mußten einzeln in eine längliche Kabine treten. In der Kabine saß ein Mann in einer kleineren Kabine und verlangte wortlos meinen Paß. Über mir war ein Spiegel angebracht. Der Mann kontrollierte im Spiegel, ob ich mir vielleicht eine Panzerfaust an die Wade gebunden hatte. Dann betrachtete er meinen Paß, als hätte er noch nie einen gesehen. Er verglich das Bild mit meiner tatsächlichen Erscheinung. Er ließ sich Zeit. Vielleicht wollte er sich mein Gesicht ganz genau einprägen, um mich später malen zu können. Unaufgefordert legte ich einen Zwanzigmarkschein und ein Fünfmarkstück hin und bekam die gleiche Summe in Ost-Geld zurück. Die Scheine sahen ein bißchen aus wie Zigarettenbildchen aus den Fünfzigern. Die Münzen waren etwas leichter als unsere. Dann zeigte der Mann mit dem Daumen nach links, und ich durfte gehen.
    Draußen mußten wir fast eine Stunde warten. Frau Jacobs war noch immer drin. Sudhoff wurde unruhig, konnte aber nichts machen. Dann kam sie heraus. Sie hatte geheult. Ihre Augen waren noch ganz rot. Wie sich später herausstellte, hatte man sie festgehalten, weil sie ein Geo-Heft über Ost-Berlin mit dabei gehabt hatte. Man sagte ihr, darin stünden Lügen über die Deutsche Demokratische Republik. Um Frau Jacobs zu zeigen, daß man die DDR nicht für dumm verkaufen konnte, ließ man sie eine Stunde lang in einem fensterlosen Raum sitzen. Ohne Uhr. Die hatte man ihr auch abgenommen, aber die bekam sie wieder, denn die Uhr verriet nur die Zeit, und die war nicht gelogen, nicht mal in der DDR. Sudhoff legte den Arm um die Jacobs, aber sie schüttelte ihn gleich wieder ab und bemühte sich, ein Lächeln hinzubekommen.
    Wir gingen Richtung Unter den Linden. Es bildeten sich erste Grüppchen. Mücke und ich gingen nebeneinander, und es dauerte nur ein paar Sekunden, bis der lange Schäfer neben uns war und sagte: »Geil, was?«
    »Ich weiß nicht, was du meinst, Schäfer«, sagte Mücke.
    »Na, das alles hier«, sagte der lange Schäfer und sah sich um. Wir sagten nichts.
    Ich wußte nicht, wie ich das finden sollte. Es war in Ordnung, dachte ich, bisher war es nicht so schlimm, wie ich gedacht hatte. Nur die Autos sahen wirklich komisch aus.
    Wir bogen nach rechts ab und gingen hoch zum Brandenburger Tor. Sudhoff erklärte uns, was alles in den Gebäuden rechts und links untergebracht war. Er kannte sich ziemlich gut aus. Die Jacobs sagte nichts.
    Das Brandenburger Tor

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