Liliane Susewind – Tiger küssen keine Löwen (German Edition)
wieder besorgt den Kopf. »Das ist gar nicht gut«, sagte er, als Lilli fertig war. »Trixi will sich schon lange an uns rächen und wartet nur auf die passende Gelegenheit. In der Schule ging das bisher nicht. Aber ich wette, sie hat ihre Schwester gegen dich aufgestachelt und hofft, dass Trina sich an ihrer Stelle an dir rächt.«
»Das kann sein.« Lilli kaute angespannt auf ihrer Unterlippe.
»Sobald sie irgendwas Fieses macht, sagst du mir Bescheid, und dann zeigen wir ihr, wo der Hammer hängt!«
Lilli lächelte Jesahja dankbar an und war froh, ihn zu kennen. Sie konnte sich hundertprozentig auf ihn verlassen. Vor ihrem Umzug in diese Stadt hatte sie nie richtige Freunde gehabt. Das lag vor allem daran, dass niemand etwas von ihren Fähigkeiten erfahren durfte. Besonders ihrer Mutter war das immer ungeheuer wichtig gewesen. Dadurch, dass Lilli ihr Geheimnis bewahren musste, war sie ihren Schulkameraden gegenüber oft gehemmt, verhielt sich komisch und wurde zur Einzelgängerin. Doch nun war alles anders. Lilli ging jeden Morgen mit Jesahja zur Schule, und auch nach Schulschluss verbrachten sie viel Zeit zusammen. Sie waren ein Team und halfen sich gegenseitig. Dieser Gedanke beruhigte Lilli, wenn sie daran dachte, dass Trixi und Trina wie zwei Aasgeier nur darauf warteten, es ihr heimzuzahlen.
Shankar und Samira
Lillis zweiter Arbeitstag im Zoo begann anders als der vorherige. Ihr erster Tag war ein Samstag gewesen, deshalb hatte sie morgens mit der Arbeit anfangen können und die tägliche Besprechung der Pfleger miterlebt. Diesmal besuchte Lilli den Zoo aber erst am Nachmittag, nach der Schule. Frau Essig-Steinmeier hatte ihr gesagt, sie könne so oft kommen und so lange bleiben, wie sie wolle. Es gab keine festen Arbeitszeiten.
Lilli suchte auf den Pfaden zwischen den Tiergehegen nach Finn, damit er ihr sagen konnte, mit welchem Tier sie diesmal sprechen sollte.
Wie so oft versammelten sich schon nach kurzer Zeit einige Vögel in Lillis Nähe. Die Amseln, Rotkehlchen und Meisen folgten ihr von Baum zu Baum, während Lilli den Zoopfad aus Schotter entlangging. Ein paar neugierige Meisen hüpften schließlich vor Lilli auf den Weg, und ein vorwitziges Rotkehlchen ließ sich sogar auf Lillis Schulter nieder.
Lilli seufzte und blickte sich vorsichtig um. Im Augenblick waren kaum Zoobesucher in der Nähe. Ein Stück vor ihr schlenderte lediglich ein älteres Ehepaar.
»Könntet ihr mich bitte allein lassen?«, bat Lilli die Vögel mit gesenkter Stimme.
»Wieso denn? Warum das?«, zirpten die Meisen durcheinander, und einige hüpften trotzig auf der Stelle.
»Wenn andere Menschen sehen, dass ihr mir folgt, starren sie mich an und fangen an zu tuscheln«, erklärte Lilli flüsternd.
»Wir wollen nicht weg!«, zwitscherte das Rotkehlchen auf Lillis Schulter. »Du bist interessant.«
Lilli überlegte. »Wenn heute Abend alle Leute weg sind, rufe ich euch. Dann könnt ihr wieder zu mir kommen.«
Inzwischen war ein neugieriges Eichhörnchen an einem Baumstamm herabgeklettert. Es hörte Lilli ebenso gebannt zu wie die Vögel. Zu allem Überfluss ließ sich nun auch noch ein Schmetterling auf Lillis Kopf nieder.
»Jetzt ist es wirklich genug!«, sagte Lilli laut und schüttelte das Rotkehlchen und den Schmetterling ab. Das ältere Ehepaar war glücklicherweise schon zu weit entfernt, um sie zu hören. »Heute Abend rufe ich euch und breite die Arme aus. Das ist das Zeichen. Dann könnt ihr alle kommen und auf mir landen. Aber lasst mich bis dahin bitte in Ruhe.«
Die Vögel zogen sich murrend zurück und das Eichhörnchen fiepte: »Wann ist heute Abend? Dauert das noch lange?«
»Das ist, wenn es dunkel wird«, erklärte Lilli.
Das Eichhörnchen rief »Aha!« und verschwand wieder im dichten Laubwerk der Bäume.
»Dunkel ist es wohl eher bei dir im Kopf«, erklang es plötzlich hinter Lilli.
Lilli drehte sich erschrocken um. Vor ihr stand Trina, hämisch grinsend. Sie sah ihrer Schwester Trixi in diesem Moment zum Verwechseln ähnlich. »Redest du mit dir selbst, Dumpfbirne? Oder ist das wieder einer deiner Zaubertricks?«
Lilli hatte keine Lust, Trina zu erklären, mit wem sie gesprochen hatte. Deshalb schwieg sie.
»Besonders helle kannst du jedenfalls nicht sein«, höhnte Trina und verschränkte die Arme vor der Brust.
Lilli wünschte sich, Jesahja wäre bei ihr. Ihm wäre bestimmt eine schlagfertige Antwort eingefallen.
»Du sollst übrigens mit mir mitkommen. Anordnung von Oberst Essig«,
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