Liliane Susewind – Tiger küssen keine Löwen (German Edition)
Aber er versicherte Lilli, dass er ihr helfen würde. Anschließend schlug Lilli ihm vor, dem gelangweilten Leoparden einen Ball zum Spielen zu geben, damit ein bisschen Abwechslung in sein Käfigleben kam. Finn hielt das für eine gute Idee und versprach, sich darum zu kümmern.
Kurz darauf standen sie vor dem Büro der Direktorin, und Lilli klopfte zaghaft an.
»Herein!«, ertönte Frau Essig-Steinmeiers durchdringende Stimme.
Lilli und Finn gingen hinein, und Lilli bekam einen Schreck. Neben der Direktorin, die hinter ihrem Schreibtisch thronte, stand Trina. Augenscheinlich erstattete sie Frau Essig-Steinmeier Bericht über die Säuberung der Terrarien im Reptilienhaus. Sie sagte gerade: »… und die Scheiben vom Krokodilterrarium habe ich auch geputzt.«
Lilli trat zögernd näher. Sie wollte ungern mit der Direktorin über Samira und Shankar sprechen, während Trina danebenstand.
»Ah, Liliane Susewind.«
»Hallo Frau Oberessig.« Lilli kniff erschrocken die Augen zusammen, als ihr klar wurde, was sie gerade gesagt hatte.
Die Direktorin ging kommentarlos über Lillis Versprecher hinweg. »Hast du herausfinden können, was mit Samira los ist?«
»Ja … schon …«, antwortete Lilli zögerlich. Trina störte sie.
»Na, dann immer raus damit. Was hat sie gesagt?« Die Direktorin stützte die Ellbogen auf die Tischplatte und legte die Fingerspitzen aneinander.
»Also … es ist so, dass …«, druckste Lilli herum. Doch dann fasste sie sich ein Herz. Shankar und Samira waren wichtiger als das Unbehagen, das Trinas Gegenwart in ihr auslöste. Sie atmete tief durch und erzählte der Direktorin ausführlich, was Samira gesagt hatte. Trina hörte ebenso aufmerksam zu wie Frau Essig-Steinmeier.
»Das ist ja ein Ding!«, rief die Direktorin. »Verliebt sind die beiden also. Hmm …« Frau Essig-Steinmeier erhob sich, verschränkte die Hände auf dem Rücken und begann, gedankenvoll im Raum auf und ab zu gehen.
Trina hob die Hand, als sei sie in der Schule. »Frau Essig-Steinmeier, dürfte ich etwas sagen?«
Lillis Gesicht verfinsterte sich. Was hatte Trina vor?
Die Direktorin zog die linke Augenbraue in die Höhe. »Was ist denn?«
Trina warf Lilli einen hinterhältigen Blick zu, den außer Lilli aber niemand zu bemerken schien. »Also, ich finde, es ist eine ganz schlechte Idee, einen Löwen und eine Tigerin im gleichen Gehege zu halten. Ein Zoo ist doch dazu da, die verschiedenen Tierrassen einzeln vorzustellen, oder nicht? Sonst könnte man ja gleich die Ziegen zu den Wölfen stecken.«
Lilli drückte zähneknirschend ihre Fingernägel in die Handballen. Trina würde noch alles verderben! Sie witterte scheinbar eine Chance, Lilli einen Strich durch die Rechnung zu machen.
»Das kann man doch gar nicht miteinander vergleichen, Trina«, warf Finn ärgerlich ein. »Ziegen und Wölfe könnte man natürlich keinesfalls zusammenlegen –«
Trina unterbrach ihn: »Einen Löwen und eine Tigerin aber auch nicht. Das wäre ja verrückt! Tiger gehören zu Tigern und Löwen gehören zu Löwen. Was sollen denn die Leute denken?«
»Die Leute fänden ein derart ungewöhnliches Paar wahrscheinlich sensationell«, beantwortete die Direktorin die Frage. »Hmm. Das hätte ich früher wissen müssen. Damit könnten wir die Besucherzahlen extrem erhöhen.«
Lilli horchte auf. War Frau Essig-Steinmeier auf ihrer Seite? Würde sie die Zusammenlegung erlauben? »Wären Sie bereit, Samira und Shankar –«, begann Lilli.
Doch Frau Essig-Steinmeier hob abwehrend die Hand. »Nein, das kann ich leider nicht tun, Liliane. Erst gestern habe ich mit einem Zoo in Bayern eine Vereinbarung getroffen. Wir werden Samira schon in wenigen Wochen gegen eine Löwin aus dem bayerischen Zoo eintauschen. Samira wird dort in einem schönen großen Areal leben, wo sie viel mehr Platz hat als jetzt. Und die neue Löwin kommt zu Shankar, damit er endlich eine Partnerin hat.« Die Direktorin blickte skeptisch in die Runde. »Gestern schien mir das noch ein guter Plan zu sein, aber heute …«
»Dann machen Sie die Vereinbarung mit dem anderen Zoo doch rückgängig«, schlug Lilli aufgeregt vor.
»Das geht leider nicht. Es ist bereits alles in die Wege geleitet«, entgegnete die Direktorin kopfschüttelnd. »Samira wird bald fortgebracht.«
Lilli sank das Herz. »O nein!«
»Da ist halt nichts zu machen.« Trina verzog die Lippen zu einem dünnen Lächeln. »Wenn man einmal etwas vereinbart hat, muss man sich auch daran
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