Lilienrupfer
dem Panoramafenster schmiss.
Ich fragte mich, wie er empfinden musste, dachte er einmal darüber nach? Dann fragte ich mich, ob er zurückgekommen war, weil er wollte, dass ich ihn rettete. In unzähligen inneren Zwiegesprächen sagte ich ihm immer wieder, er habe nur dieses eine Leben und er dürfe das, was ihm geschenkt worden war, nicht einfach ignorieren undwegwerfen, indem er sich in seinem Dorf verschanzte. Ich war mir nicht sicher, ob ich auch in Wirklichkeit die richtigen Worte dafür finden würde. Denn wie auch immer: Dastehen würde ich als Verführerin. Als die mit den eigennützigen Absichten.
Doch ich verbannte diesen Gedanken in die hinterste Nische meines Kopfes und spürte stattdessen mit Hannes den Fußabdrücken unserer Jugend nach, ließ ihn alle meine Zweifel bekämpfen, lauschte seinen eigens für mich komponierten Zukunftsmusiken und seufzte den verpassten Gelegenheiten von früher hinterher, unterbrochen von vielen ›Weißt du noch …‹ und ›Ach, wenn ich das nur gewusst hätte‹, die sich schließlich zu der euphorischen und beidseitigen Erkenntnis steigerten: ›Du wärst es für mich gewesen!‹
Es war wie Dalli-Klick – die Einzelheiten kamen bruchstückhaft, aber dann ergaben sie das ganze Bild. Alles war so vertraut und fühlte sich wohlig an, zum Hinkuscheln. Wir mussten uns nicht alles neu erzählen, denn unsere Basis kannten wir schon. Wie dieses sinnende »Undinchen, Undinchen«, das er wie damals in unsere Gespräche streute und damit sehnsüchtige Gedanken in den Raum schickte, wo sie wie Kolibris umherflatterten und sich später auf meine Schulter setzten und kleine Teufeleien in mein Ohr tschilpten. Und während ich nicht aufhörte, mich selbst butterweich zu kochen, indem ich die Aufnahme von ›She’s always a woman to me‹ wieder und wieder hörte, träumte ich von vergangenen Umarmungen. Und wurde noch ein bisschen weicher.
Dann las ich Thommie Bayers ›Das Herz ist eine mieseGegend‹ und beruhigte mich. Solche Jugendlieben-Geschichten, die gibt es, sagte ich mir. Und manchmal enden sie gut, trotz aller Widrigkeiten. Das Buch beweist es.
In Wirklichkeit vergaß ich es nie: Er war verheiratet. Saß nach seinen Anrufen da, schüttelte den Kopf und starrte die Wand an. Eines war allerdings klar: Bindungen ängstigten
ihn
nicht. Immerhin.
Entschuldige, Robbie. So ausführlich wollte ich gar nicht werden. Der Rest ist dafür schnell erzählt. Im Grunde lässt er sich auf jene trübe Erkenntnis reduzieren, zu der wohl die meisten Geliebten verheirateter Männer irgendwann kommen: Er wird sich nie von seiner Frau trennen.
Zwei Jahre meines Lebens waren dafür draufgegangen, dass ich nicht auf mich selbst hören wollte. Aber ich war so erpicht auf die Erfüllung eines romantischen Traumes, dass ich die Wahrheit trotzig in den Wind schlug: Es hätte niemals funktioniert mit Hannes und mir.
Dabei war es doch von Anfang an klar gewesen: Die Dachgeschosswohnung bei den Eltern, Tanzmusik im Hotel, sein Job bei der Bank – hinter seinem jungenhaften Charme steckte eine Krämerseele, ein Rechner, der bei aller Freundlichkeit unerschütterlich kalkulierte und abwog und dabei immer zuerst auf den eigenen Vorteil bedacht blieb. Einer, der sich selbst nicht das Geringste versagen wollte, der in der Überzeugung lebte, alles stünde ihm zu, der aber so vorsichtig war, sich mit Schmeicheleien durchzulavieren, ohne dem anderen nur das kleinste Versprechen zu geben. Ehrlichkeit nannte er das, und ich stellte mir vor, wie er mit gerecktem Kinn durch die Straßen seines Dorfes ging.
Den Gedanken, dass das, was ich tat, nicht minder beschämend und erbärmlich war, ignorierte ich. Aber er ließ mich nicht in Ruhe. Mit einem hinterhältigen Sirren kehrte er wieder und stach schließlich zu, als Hannes mir erzählte, er sei bei der diesjährigen Fronleichnams-Prozession einer der Himmelsträger. Also einer jener ehrbaren Männer, die singend und betend einen Baldachin über den Pfarrer halten, während dieser über blumengeschmückte Straßen schreitet und seinen Segen spendet.
Ich hätte mich am liebsten übergeben. So viel Verlogenheit und ich, die dabei mitmachte. War ich mir denn für gar nichts mehr zu schade? Wie konnte ich nur? Und dann, nicht lange danach, spürte ich: Ich konnte es eben nicht mehr. Es war aus, und ich sagte es ihm. Er nahm es in angebrachter Verletztheit hin, beteuerte ein paar Mal, wie viel ich ihm bedeute, ja, welche Leere ich in seinem
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