Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Velden
Vom Netzwerk:
tapfere Mädchen zu weinen.«
     
    Nachdem Till gegangen war, streckte ich mich im Bett aus und sah auf die Uhr. Halb vier. Ich konnte noch ein paar Seiten zu lesen, bevor ich aufstehen musste, um zu duschen. Mit der Armschiene dauerte alles doppelt so lange, aber so wie ich war, wollte ich mich nicht blicken lassen. Ich ließ vor niemandem gern die Flügel hängen, und es war mir schon peinlich gewesen, dass Till mich so blass und ungekämmt gesehen hatte, auch wenn wir seit knapp zwei Jahren unsere Geheimnisse miteinander teilten.
    Er hatte damals nach einem abgebrochenen Jura-Studium als Übergang einen Job als Beleuchter und Bühnenarbeiter im ARENA angenommen und binnen weniger Wochen waren wir Verbündete geworden, die sich ihre Vergangenheit erzählten und zusammen von der Zukunft träumten. An vielen Abenden kochte ich für uns, wir sahen uns alte und neue Filme an, spielten Skipo und tranken Rotwein. Wir waren nicht Mann und Frau, sondern zwei Menschen, die sich, ohne zu suchen, gefunden hatten. Als Till kurz vor seinem fünfunddreißigsten Geburtstag endlich herausfand,
sein
Heil läge darin,
andere
zu heilen, und eine Krankenpfleger-Ausbildung anstrebte, unterstützteich ihn in diesem Wunsch und kam, wenn es mir die Zeit erlaubte, zu Prüfungen und Vorstellungsgesprächen mit. Und jetzt war er hier und ich nicht allein. Ich kroch aus dem Bett und ging unter die Dusche.
    ***
    In der Cafeteria bestellte ich Cappuccino und ein Stück Himbeertorte mit Baiser und sah mich um. Es war zwar nicht das »Tizian«, aber nach fast vierzehn Tagen Krankenzimmer war es besser als nichts, wobei mich die bleichen Gestalten in Bademänteln eher deprimierten als aufmunterten. Till ließ noch auf sich warten, und ich schlug mein Buch auf und begann wieder zu lesen. An der Stelle, wo der Held ein Mädchen aus einem Kofferraum befreit, hatte ich plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden, und zwar von zwei Personen. Ich täuschte micht nicht: Dem einen Mann stand rechts ein Infusionsständer zur Seite, links von ihm saß eine Frau mit kurzem blondem Haar, Jeans, Blouson und Turnschuhen. Sie redete unentwegt, deutete und gestikulierte, doch als sie bemerkte, dass weder seine Gedanken noch sein Blick ihr folgten, ortete sie mich schnell als den Grund der Ablenkung. In ihren Augen glomm es gelb auf, bevor sie dem Mann kurzerhand den Löffel abnahm und die Spitze von seinem Kuchenstück hieb und ihm in den Mund schob. Die Botschaft war unmissverständlich. Er resignierte, kaute und schluckte. Und tat mir leid. Irgendwie.
    Der zweite Beobachter trug wie ich selbst einen ban-dagierten Arm in einer Schlinge, war allein und trank Milchkaffee. Allem Anschein nach hatte er die Szene beobachtet, denn in seinem Schmunzeln lag etwas Verschwörerisches.Einen Augenblick lang glaubte ich, er proste mir gleich mit seiner Tasse zu. Ein Glucksen stieg plötzlich in mir auf und ich tat nichts, um es zu unterdrücken. Ich lachte dem Mann zu und freute mich. Ich war nicht unsichtbar.
     
    »Du musst etwas ändern«, äußerte sich Till allerdings fünf Minuten später, nachdem er Kaffee bestellt und seinen Tabak mit einem angewiderten Blick auf das Nichtraucherschild in seine Jeansjacke zurückgeschoben hatte.
    »Ach ja? Was denn?«
    »Du brauchst einen Mann. Etwas Gescheites. Oder zumindest etwas, das dich ablenkt. Ein Tramezzini vor dem Hauptgang   … irgendwas in dieser Art.«
    »So?«, erwiderte ich und warf unwillkürlich einen Blick auf den Schmunzler, der gerade dabei war zu zahlen. »Hatten wir das Thema nicht schon oft? Schon mal daran gedacht, es könnte mich nerven?« Ich verstummte, aber Till gab nicht nach.
    »Von Anfang an habe ich dir gesagt, du verplemperst mit diesem Hannes deine Zeit. Und ich hatte recht, auch wenn ich das nicht gern sage.«
    »Und warum sagst du es dann?«
    Sein Schnauben war so laut, dass die Gäste vom Nebentisch irritiert herüberblickten. »Undine, ich will einfach nicht mit ansehen müssen, wie du noch mehr Zeit damit vertust, um diesen Blödmann zu trauern. Ich kenne dich doch, du gehörst nicht zu denen, die leichten Herzens loslassen. Aber sieh mal, du bist vom Fahrrad gestürzt, du hast dich verletzt, ja, es hat wehgetan und trotzdem wirst du bald wieder aufsitzen.« Er drosch Phrasen – es musste ihm ernst sein.
    »Wenn der Arm geheilt ist, ja. Alles braucht seine Zeit.«
    »Du willst doch nicht etwa meinen Unfall mit Hannes vergleichen?«
    »Doch, will ich.«
    »Gut«, lenkte ich ein. »Ich brauche

Weitere Kostenlose Bücher