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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Velden
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und die gab ich ihr. Kurz danach erfuhr ich, dass sie gelogen und das Geld genommen hatte, um mit einem anderen Kerl in Urlaub zu fahren. Als sie zurückkam, war sie schwanger von ihm und hat wohl geheiratet.«
    »Und das Geld?«
    »Habe ich ebenso wenig wiedergesehen wie sie. Weißt du, ich habe mich dafür verachtet, dass ich so an ihr hing. Sie war nicht klug, nicht witzig und nicht warmherzig. Was mich zu ihr hinzog, war nichts als purer Instinkt. Als hätte ich den Verstand verloren.«
    »Und später hattest du Angst, es könnte dir wieder passieren«, sagte ich und musste an Susanne denken.
    Mit einem schiefen Lächeln sah er mich an. »Ja, dashabe ich oft gedacht. Und gleichzeitig habe ich es als Freibrief genommen, mich wie ein Schwein zu benehmen.«
    »Du vergisst«, sagte ich sanft, »dass Philip Carey wieder glücklich wurde. Er hat Sally Athelny getroffen und sie hat ihn gerettet.«
    Christian warf seine Zigarette zu Boden und betrachtete mich lange. »Und du?«, fragte er schließlich. »Könntest du dir vorstellen, meine Sally Athelny zu sein?«
    »Wenn du schon eine Mildred hattest, warum nicht auch eine Sally? Findest du denn, der Name passt zu mir?«
    »Ich finde Undine sehr schön. Solange eine Sally in dir steckt.« Plötzlich lachte er leise.
    »Was ist?«, fragte ich.
    »Ich dachte gerade, dass wir unbedingt nach England fahren sollten. Zur Hopfenernte. Nach Kent. Wie die beiden am Ende des Romans.«
    »Klar«, antwortete ich. »Ich wollte schon immer einmal dahin. Maugham ist dort aufgewachsen. Ich finde, das sind wir ihm schuldig.«
    Er lachte wieder, stand auf und zog mich zu sich hoch. »Los komm, lass uns gehen.«
    »Nach Kent? Jetzt?«
    »Nicht nach Kent. Nach Hause. Ins Bett.«
     
    Am nächsten Morgen wachte ich gegen halb sieben auf. Durch die Holzjalousien fiel das Licht in Streifen ins Zimmer. Mein Rücken schmiegte sich an Christians Bauch und mein Kopf lag auf seinem ausgestreckten Arm. Seine Haut war warm und roch nach frisch gefallenem Regen. Ich hatte nur wenig geschlafen, höchstens zwei Stunden. Mein Körper befand sich in diesem Zustand erschöpfter Erregung, die einen in die Kissen drückte, aber nicht still liegen ließ.
    Neben mir verriet Christians Atem, dass er fest schlief. Ich drückte mich ein bisschen dichter an ihn und unterdrückte einen Seufzer. Es erschien mir fast unwirklich, dass alles gut zwischen uns geworden war. Dass wir uns wiedergefunden hatten und zusammen waren. Dass wir die letzte Nacht erlebt hatten, die zärtlich, fiebrig und hungrig gewesen war.
    Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, drehte ich mich zu Christian um und sah ihm beim Schlafen zu. Seine Haare wirbelten sich am Ansatz und fielen ihm in die Stirn. Er sah aus wie ein Junge. Sein Anblick traf mich mitten ins Herz, und ich hätte weinen können. Stattdessen küsste ich ihn vorsichtig auf die Wange und beschloss aufzustehen. Ich konnte Kaffee machen und Croissants oder Rosinenbrötchen beim Bäcker holen, und wir würden im Bett frühstücken. Ich erinnerte mich daran, wie sehr ich mir das immer gewünscht hatte: Aufzuwachen und es röche schon nach Kaffee. Christian würde sich freuen. Im Wesentlichen träumten die Menschen von denselben Dingen.
     
    Ich huschte aus dem Bett hinüber ins Bad. Als ich eine halbe Stunde später in meinem blauen Kleid mit dem Bügeleisenabdruck auf der Vorderseite unten auf der Straße stand und die Sonne auf meinem Gesicht spürte, änderte ich meine Pläne. Ich ließ den Bäcker links liegen, setzte mich in mein Auto und fuhr los.
     
    Die Lilien standen inzwischen schon ziemlich hoch. Ihre Knospen waren prall und zartes Weiß schimmerte durch das Grün der äußeren Blätter. In der Vase würde es noch ein bis zwei Tage dauern, bis die Blüten aufbrachen, abersie
würden
aufgehen, dessen war ich mir sicher. Ich pflückte einen Arm voll und fuhr wieder nach Hause.
    Als ich in die Wohnung kam, schlief Christian noch immer. Ich schob die CD von Alison Krauss in den Player, ging ins Schlafzimmer und legte eine der Blumen neben ihn auf das Kopfkissen.
    »Lilienrupfer«, flüsterte ich ihm ins Ohr, während die Musik ins Zimmer wehte:
    »Slumber, my darling, the birds are at rest,
    The wandering dews by the flow’rs are caressed.
    Slumber, my darling, I’ll wrap thee up warm,
    And pray that the angels will shield thee from harm
.
«

Epilog
    Datum: 31.   Mai 2008 23.43   Uhr
    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Betreff: Text
     
     
    Lieber

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