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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Velden
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denn genau zu diesen Exemplaren gehörst Du ja   –, ICH kann nur vermuten, Eloquenz und Bindungswille in Kombination müssen ihrem Träger etwas in der Art von Lactose-Unverträglichkeit bescheren. Etwas, das starke Magenkrämpfe verursacht und Unappetitliches zur Folge hat, vor dem der Arzt wahrscheinlich warnt.
    Ich habe es immer wieder erlebt: Je beredter einer ist, je sprühender sein Geist, je leuchtender die Augen, je romantischer seine Liebeserklärungen, je wohlklingender und vielversprechender seine Zukunftsmusiken, desto schneller kommt der Abschied, desto kälter die Worte, die er dafür findet, desto weiter offen mein Mund, desto ungläubiger meine Augen, desto tiefer und schwärzer der Abgrund und desto drängender und verzweifelter nachher die Frage: Was habe ich falsch gemacht?
    »Lass uns die vergangene Zeit vergessen«, empfiehlst Du in ›Sexed Up‹, »lass uns so tun, als wären wir uns nie begegnet.« Ist das das Geheimnis? So tun, als ob nie etwas gewesen wäre? Kann man das? Du? Ich kann es nicht, aber immerhin erklärt sich so dieser leicht dahingesungene Zynismus: »Es ist Samstag. Ich gehe aus und suche mir ein anderes Du.«
     
    Weißt Du, was mich an all dem so stocksauer macht? Dass wir Frauen in unserer Verzweiflung und unserem Kopfzerbrechen so unglaublich bedürftig wirken, dumm und naiv, aufs Kreuz gelegt, während Männer wie Du ungerührt auf und davon marschieren und sich UNBERÜHRBAR ans Revers heften   …
    Ja, ich rege mich gerade auf. Ja, ich lege besser eine Pause ein. Und meditiere ein bisschen. Oder trinke Rotwein.
     
    PAUSE
     
    WIE kam ich jetzt auf diesen Sermon? Richtig, Richard, der Eloquente! Stimmt. Natürlich werde ich ihm antworten. Denn das mit dem Sternchen in einer grauen Graupensuppe – das könnte man doch auch von ihm sagen. Zumal es bislang die einzig annehmbare E-Mail ist, die ich hier erhalten habe. Man kann ja mal sehen, oder? Außerdem sieht er gut aus. Und er hat studiert. Na, bitte. Klingt doch erst mal gut.
    Ich werde ihm jetzt antworten und Dir natürlich später schreiben, wie und ob es weitergeht.
    So und jetzt muss ich Schluss machen. Meine Eltern kommen in einer Stunde und ich bin noch nicht angezogen. Wir wollen Essen gehen. In den Weichhandhof. Mein Vater liebt es bayerisch. Und ich auch.
     
    Dir einen angenehmen Abend
    und einen lieben Gruß
    von
    Undine
    ***
    Zwei Tage darauf reisten meine Eltern ab. Ich fühlte mich gut und freute mich auf die kommende Zeit. Noch acht Tage, dann würde ich wieder arbeiten. Franz hatte mir das Stück geschickt und ich las bereits darin, Freunde besuchten mich, ich ging spazieren und Kaffeetrinken, morgens schlief ich lange, lag in der Badewanne, las und fühlte mich wohl. Von Richard, dem Eloquenten, waren ein paar weitere E-Mails gekommen, in denen er mir unter anderem erzählte, er sei Zahnarzt und zu einer Fortbildung in Boston. Außerdem komme er erst in ein paar Wochen zurück, weil er anschließend noch Freunde, die in der Nähe lebten, besuchen wollte, freue sich aber über weiteren Briefwechsel mit dem Sternchen in der Graupensuppe. Ich musste lächeln.
    Es war merkwürdig, dass meine Gedanken mehrmals täglich zu jemandem wanderten, den ich nicht kannte. Ich ertappte mich dabei, wie ich innere Dialoge mit diesem Mann führte und begann, ihm eine Stimme zu geben, Mimik und Gestik. Ich salzte und süßte, verrührte, walkte und glättete, schmeckte ab und buk mir einen Mann nach einer vagen Vorlage aus dem Internet.
    Du spinnst, sagte ich mir schließlich, fang bloß nicht an zu träumen.
     
    Hannes verblasste. Zwei- bis dreimal am Tag flackerte er noch schwach hinter meiner Stirn auf, bis es dunkel um ihn wurde, als hätte jemand das Licht abgedreht.
    Gab es das? Auch für mich? Ein anderes Du?
    ***
    Dann war es vorbei mit der Ruhe. Die Proben begannen und dauerten meistens bis weit in den Abend hinein. Oft gingen wir anschließend noch in die Kneipe am Ende der Straße, wo wir unsere lechzenden Mägen mit Bratkartoffeln, Rührei und Salat stopften und müde, aber mit heißen Köpfen Szenen, Kostüme, Musik und neue Ideen besprachen.
    Ich liebte das.
    Hier war ich Teil eines Ganzen.
    Glücklicherweise ging es meinem Arm immer besser, die Schiene war ab, ich trug nur noch eine elastische Binde und musste darauf achten, keine allzu heftigen Bewegungen zu machen und vor allem nichts Schweres zu heben. Franz behandelte mich wie ein rohes Ei und schleppte seine halbe Hausapotheke in die Garderobe,

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