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Lilith - Wunschlos gluecklich

Lilith - Wunschlos gluecklich

Titel: Lilith - Wunschlos gluecklich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tine Armbruster
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Mädel war noch klein, die Zeichenkünste eher bescheiden. Aber die Großmutter liebte dieses eher abstrakt geratene Abbild, denn sie liebte … Lilith. Noch heute hing es mit einigen anderen Bildern über ihrem Bett.
    Die wild durcheinanderlaufenden Füße drangen nun wieder deutlicher durch ihren Schleier der Starre hindurch. Sie lauschte ein wenig der Umtriebigkeit, dann erstarrte sie. Jemand huschte nicht an ihr vorbei.
    Er war stehen geblieben. Vor ihr und ihrer Familie.
    »Mrs. Winters?«
    Lilith hielt die Augen weiterhin geschlossen, denn die Anrede galt nicht ihr, sondern ihrer Mutter. Sicher sah sie in diesem Moment ruckartig auf.
    »Ja …«, erwiderte ihre Mutter mit gebrochener Stimme zaghaft.
    »Es tut mir sehr leid, aber …«
    Lilith schrie.
    Aus der Ferne trug der Nachtwind seichtes Glockengeläut an Liliths Ohr. Eins – zwei – drei – vier. Vier Uhr morgens. Eigentlich lag man zu dieser Uhrzeit im Bett und schlief. Eigentlich. Unglücklicherweise hatte sich ihr Leben vor einigen Stunden von einer Sekunde auf die andere drastisch verändert. Alles fühlte sich falsch und unwirklich an und sie wusste, dieses Empfinden würde nun für den Rest ihres Lebens an ihr haften wie Hundekot an einer Schuhsohle. Egal, wie sehr man auch schrubbte, der Geruch, oder in ihrem Fall die Trauer, würde nie wieder gänzlich verschwinden.
    Lilith verließ mit ihren Eltern das Krankenhaus. Dad musste sie stützen, denn sie war viel zu kaputt, um es aus eigener Kraft zum Wagen zu schaffen. Kaputt wie defekt, zerstört, nicht reparabel. Denn heute Nacht war sie, ohne die Aussicht auf Rettung, innerlich in zwei Hälften zerbrochen.
    Dad verfrachtete sie auf die Rückbank des Wagens. Sofort rollte sie sich zu einem kleinen festen Ball zusammen und schluchzte in sich hinein. Um diese Zeit waren die Straßen in Seattle zwar nicht wie leer gefegt, dennoch schienen sie schnell voranzukommen. Dabei hatte es Lilith überhaupt nicht eilig, nach Hause zu kommen.
    Innerlich verfluchte sie ihre Eltern. Sie waren zwar rücksichtsvoll und unterhielten sich im Flüsterton, aber sie verstand trotzdem jedes noch so leise Wort. Wie konnten sie sich schon jetzt, nur knapp zwei Stunden nach Großmutters Tod, über die Formalitäten für die Beerdigung unterhalten? Sie wollte das nicht hören. Genauso wenig wollte sie sich vorstellen müssen, wie der Sarg ihrer Großmutter aussah, welche Blumen in der Kirche stehen würden, welche Lieder sie singen würden, welche Kleidung sie für ihren letzten Gang bekommen sollte – nichts von alledem war für sie von Bedeutung. Sie wollte Granny einfach nur wiederhaben. Sie sollte wieder mit ihnen nach Hause kommen, heute Nacht friedlich in ihrem Bett schlafen und morgen, in aller Herrgottsfrühe und wie jeden Morgen, mit ihnen frühstücken. Wie immer – für immer.
    Als sie die Augen aufschlug, war sie plötzlich wieder zu Hause in ihrem Zimmer. Sie hatte keine Ahnung, wie ihre Eltern es geschafft hatten, aber sie lag tatsächlich in ihrem Bett. Dad saß neben ihr und strich ihr sanft über die Stirn, während Mom noch eine heiße Schokolade auf ihren Nachttisch stellte. Es war ihre Spezialmischung mit diesen kleinen, klebrigen Marshmallows obenauf.
    »Schlaf noch ein wenig, Prinzessin, morgen sieht die Welt schon wieder heller aus«, flüsterte sie. Ihre Eltern verschwanden nach unten.
    Mom hatte ja keine Ahnung. Die Welt würde nie wieder hell genug für sie sein – nie wieder.
    Sie lauschte noch eine Weile den Gesprächen ihrer Eltern im Untergeschoss. Als sie sicher war, dass sie sich in ihr Schlafzimmer zurückgezogen hatten, schnappte sie sich ihre mittlerweile nur noch lauwarme Schokolade und schlich über den Gang in Großmutters Zimmer. Alles sah so aus, als ob sie nur kurz weg wäre und bestimmt gleich wiederkäme. Das Wasserglas, das Lilith ihr heute Mittag gebracht hatte, als sich ihre Großmutter nicht wohlfühlte, stand noch halb voll auf dem Nachttisch. Daneben lag ein Buch, und obenauf die Lesebrille ihrer Großmutter. Das Bett war benutzt, davor standen plüschig weiche Pantoffeln. Lilith stellte die Schokolade neben dem Wasserglas ab, schlug die Decke zurück und kroch ins Bett. Der Duft der Bettwäsche ließ sie fast glauben, dass Granny neben ihr lag. Wieder spürte sie Tränen, die ihr in den Augen brannten und sich einen Weg über ihre Wangen suchten.
     
    Ihre Mom wollte sie am folgenden Morgen in der Schule entschuldigen lassen, aber Lilith lehnte dankend ab. Nach

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