Linna singt
beiden zusammen. Sie sind Zwillinge! Da geht das wohl nicht anders. Maggie wird mir das mit der Band niemals aufrichtig verzeihen. Auch nicht, wenn ich jetzt zu ihr und den anderen ins Haus gehe und mich endlich zeige.
Ich lasse das Plakat zurück in das Dunkel des Kofferraums gleiten, ziehe meinen Rucksack heraus und gebe dem Deckel einen sanften Stups. Mit einem leisen, dumpfen Klacken schließt er sich. Jetzt geschieht es also. Unsere Wege kreuzen sich. Ich werde nicht nur Jules, sondern auch Maggie und Simon wiedersehen. Und vielleicht Falk. Nur vielleicht … Wir hatten vier verschiedene Gitarristen im Laufe der Jahre. Einer davon, unser letzter, war Falk. Für fünf grandiose Auftritte, bei denen wir uns vergaßen und das Publikum sich auch. Wir liefen zur absoluten Hochform auf, unglaublich für uns selbst. Wir waren fassungslos, saßen anschließend schweigend beieinander, ohne zu wissen, was genau in den Stunden zuvor geschehen war. Warum es geschehen war.
Dabei spielte Falk gar nicht herausragend gut, ganz zu schweigen von seinen ständigen Kapriolen und seiner stinkenden Faulheit, wenn es ums Proben ging. Obwohl er einen sehr speziellen Sound hatte, fast wie Mike. Doch es war etwas anderes, was die Leute zum Rasen brachte. Ich kann es bis heute nicht benennen. Ich weiß nur, dass es etwas mit mir und mit Falk zu tun hatte. Vielleicht auch mit Jules. Und Maggie will es wiederbekommen. Die Band war ihr Baby.
Ich muss jetzt da reingehen. Sie warten auf mich. Mit mir soll die Band neu auferstehen, das ist Maggies Plan, für einen einzigen Revival-Auftritt auf der Domwiese, wie früher. Wir sind schon gebucht. Wir kriegen sogar eine vernünftige Gage. Maggie hat mir Noten und eine Songliste geschickt. Sie will, dass wir in den kommenden Tagen alles proben, hier, in Jules’ Haus, wo ich in einer Nacht sehr glücklich gewesen bin.
Doch keiner von ihnen weiß, dass ich seit fünf Jahren keinen einzigen Ton mehr gesungen habe.
OUTCAST
Maggie hat Wort gehalten. Die Eingangstür ist angelehnt, ich muss nicht klingeln. Lautlos schiebe ich meine Finger in den schmalen Spalt und stoße sie auf, um mich samt Rucksack und Jacke ins Gästeklo zu verdrücken, die erste Tür rechts. Ich kenne mich immer noch blind aus, obwohl mir alles kleiner und schummriger vorkommt als früher.
Doch Maggie hat mir aufgelauert. »Hey, Linna!«
Ohne sie anzusehen oder Hallo zu sagen, schlüpfe ich in den winzigen Raum und schließe mich ein. Maggie stöhnt gekünstelt auf.
»Darf ich etwa nicht aufs Klo gehen?«, frage ich ruhig.
»Doch …« Ein zweites Stöhnen hinter der Tür, dieses Mal etwas leiser. »Musst du eigentlich immer etwas kaputt machen?«
Okay, ich wusste es. Ich hätte es schwören können. Sie hat mir nicht verziehen. Sie wird von nun an den lieben langen Tag Anspielungen streuen, anstatt mich direkt darauf anzusprechen. Ich weiß nicht, ob ich Lust dazu habe. Vielleicht sollte ich doch wieder von hier verschwinden.
»Es waren nur Mülltonnen. Und sie sind nicht kaputt. Kaputt ist meine Felge.«
»Oh, klar, die Felge. Das ist natürlich wichtiger.« Durch die geschlossene Tür höre ich, wie Maggie schnauft, vielleicht merkt sie selbst, wie albern ihre Vorwürfe sind. Dann entfernen sich ihre Schritte.
Mechanisch drehe ich den Hahn auf, bis das Wasser mehr heiß als warm ist, und lasse es über meine kalten Finger laufen. Mein Bauch hebt und senkt sich einmal kräftig, dann fließt mein Atem ruhiger.
Ich trockne meine Hände ab und greife nach hinten, um das Gummi aus meinem geflochtenen Zopf zu ziehen. Seidig fallen meine Haare über die Schultern und glätten sich sofort. Im Dämmerlicht des Gästeklos sehen sie rabenschwarz aus, mein Scheitel schimmert beinahe silbrig unter dem schwachen Schein der Deckenlampe. In meinen Augen lassen sich die Pupillen nicht von der Iris unterscheiden. Falten habe ich noch keine, auch keine feinen Linien. Nicht um die Augen, nicht um den Mund und auch nicht am Hals.
Ich ziehe meinen Kamm aus dem vorderen Fach des Rucksacks und fahre damit durch meine Haare, um sie anschließend mit Schwung nach hinten zu werfen. Sofort spüre ich ein leichtes Ziehen im Nacken, wahrscheinlich eine Folge des dämlichen Mülltonnenunfalls – oder des Schlags, den die wütende Türkin mir vergangene Woche verpasst hat. Als ich mich daran erinnere, rieselt mir ein Schauer den Rücken herab. Ich sehe sie wieder vor mir, das Gesicht verzerrt vor Hass, die Augen nur noch Schlitze, der Mund
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