Lipstick
ich.
»Du gehst jetzt sofort zu deiner Gyn.«
»Mensch …«
»Sonst ziehe ich aus.« Greta klang vollkommen ernst.
»Okay«, sagte ich und rappelte mich hoch.
Schon beim Reinkommen sah ich, daß das Wartezimmer proppenvoll war.
»Wenn Sie zwei Stunden warten wollen, können wir Sie vielleicht noch drannehmen«, sagte die Sprechstundenhilfe. Frecherweise trug sie meinen korallenroten Lippenstift. »Ansonsten kann ich Ihnen für … einen Moment …« Sie blätterte in ihrem Kalender. »Paßt es Ihnen übermorgen um sechzehn Uhr zwanzig?«
Ich nickte. »Übermorgen, sechzehn Uhr zwanzig«, sagte ich mit monotoner Stimme. Ich war entsetzlich erleichtert, daß ich mich noch nicht heute einer vermutlich unabänderlichen Tatsache stellen mußte.
Auf dem Absatz machte ich kehrt, und während ich die Praxis verließ,fummelte ich meinen korallenroten Lippenstift aus der Handtasche, um ihn im Gehen aufzutragen. Auch wenn ich möglicherweise schwanger war, hatte ich doch das Recht, mindestens so gut wie die Tante am Empfang auszusehen.
Gerade wollte ich die Eingangstür öffnen, als ich schnelle Schritte auf der Treppe hörte und dann eine Stimme: »Katja!«
Ich drehte mich um und sah Katharina mit wehendem Mantel die letzten Stufen nach unten laufen. Sie trug einen schwarzen Potthut, der ihre Augenbrauen ganz verdeckte.
»Mir war doch so, als hätte ich eben deine Stimme gehört! Bist du auch bei Dr. Krause?«
Ich nickte und lächelte und nahm ihre Hand, die sie mir entgegenstreckte. »Was für ein Zufall«, sagte ich dann, nur um etwas zu sagen.
»Ich bin vor einem Jahr zu ihr gewechselt. Sie hat einfach eine angenehme Art, einen zu untersuchen. Nicht so ruppig …«
Gott, war mir plötzlich schlecht! Was erzählte mir Katharina da nur für Sachen!
Wir traten nach draußen, und sogleich hakte sie mich unter.
»Heute entwischst du mir aber nicht!« sagte sie fröhlich. »Hast du Lust auf einen Kaffee?«
»Gern«, sagte ich, während sich mein Magen beinahe um sich selbst drehte.
Katharina blieb kurz stehen und überlegte. »Was gibt’s hier denn so in der Nähe?«
»›Alsterpavillon‹«, sagte ich schnell, bevor sie noch auf die Idee kam, mich ins zehn Minuten entfernte »Rialto« zu schleppen.
»Einverstanden.« Katharina hakte mich wieder unter, und so gingen wir schnellen Schrittes die Großen Bleichen runter, bis wir an der Ampel kurz warten mußten. Katharina roch betörend gut nach einem frischen Zitrusduft. Sie sah kurz zu mir rüber und lächelte. Dann sprang die Ampel Gott sei Dank auf Grün, und wir überquerten die Straße. »Du siehst heute ganz besonders hübsch aus«, sagte sie beiläufig.
»Danke«, murmelte ich, während mir immer schlechter wurde.
Zu allem Überfluß war die Luft im »Alsterpavillon« auch nochstickig. Wir wählten einen Tisch am Fenster, von wo aus man die ganze Binnenalster überblicken konnte. Während Katharina ihren Mantel auszog – darunter zum Vorschein kam ein enges braunes Strickkleid, das ihre schlanke und zugleich kompakte Figur betonte –, ließ sie sich über den »Alsterpavillon« aus. Früher, als altmodisches Oma-Café, habe der Laden ja noch seinen Charme gehabt, aber jetzt sei er nur noch etwas für Busgruppen, die sich eine Nachmittagsvorstellung von »Buddy« oder »Cats« ansähen und anschließend ihre Torten-Bomben brauchten. Da konnte ich ihr nur beipflichten. Auch ich haßte das neuerdings spießige Mustermix-Ambiente; die einzige Entschädigung war der wunderschöne Blick aufs Wasser.
Die Kellnerin kam, um die Bestellung aufzunehmen.
»Was trinkst du?« fragte mich Katharina.
»Ein Kännchen Kaffee mit Sahne«, kam es unfreiwillig über meine Lippen. Im Grunde meines Herzens verabscheute ich es, Kaffee auf diese Art zu trinken.
»Ein Kännchen Kaffee mit Sahne und einen Cappuccino«, ordnete Katharina an, als sei sie bei unserem Date die Chefin. Dann strahlte sie mich über den Tisch hinweg an. Sie hatte sinnliche Lippen, dunkelrot geschminkt, und wunderschöne Zähne.
Mein Herz klopfte heftig, obwohl dazu gar kein Grund bestand. Denn Katharina nahm die Fäden schon in die Hand, ich brauchte mich überhaupt nicht groß anzustrengen. Sie erzählte mir im Detail von ihren Kindern – Geschichten, die ich von Jan nie zu hören bekommen hatte –, und als es zu diesem Thema nichts mehr zu sagen gab, fragte sie mich wieder mal nach meiner Arbeit aus. Ich antwortete gern, war ich doch um jeden Satz froh, der nicht mit Jan in Zusammenhang
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