Shutdown
Kapitel 1
San Leandro, Kalifornien
Die Landescheinwerfer über dem Flughafen von Oakland zündeten Jen einen Augenblick direkt ins Gesicht, dann gingen in der Stadt die Lichter aus. Auf einen Schlag, als hätte jemand den ganz großen Schalter umgelegt. Nur die Lichterketten der Autos schlängelten sich auf unsichtbaren Pfaden durch die schwarze Nacht. Noch einmal strich der Kegel der Scheinwerfer über die Bildschirme, Platinen, Server Racks, ausgeweideten Computergehäuse und Telefone, die zerknüllten Cola-Büchsen, Müsliriegel und das Kabelgewirr in der alten Fabrik. Das Flugzeug raste genau auf sie zu. Die Triebwerke der durchstartenden Maschine ließen Fenster und Wände erzittern, dass Jen unwillkürlich den Kopf einzog.
»Fuck!«, fluchte Jezzus hinter seiner Mauer aus Monitoren.
Antonio Juarez, wie Jezzus mit bürgerlichem Namen hieß, sprang behände, wie sie es seiner plumpen Gestalt nie zugetraut hätte, zu ihr ans Fenster, riss den Filzhut vom kahlen Schädel, was sonst nie geschah, und wiederholte seinen Fluch mit dem Zusatz: »Madonna!«
Jen blieb keine Zeit, sich über den alten Freund zu wundern. Dumpf drang der Klagelaut einer Lkw-Hupe durch die dünne Scheibe. Reifen quietschten in der Finsternis zu ihren Füssen. Sie starrte wie gebannt auf die Stelle, wo sich ihre Straße mit dem Doolittle Drive kreuzte, sah den Blitz Sekundenbruchteile bevor der Knall des Aufpralls wie ein Gewehrschuss an ihr Ohr peitschte. Metall fraß sich in Metall. Das letzte Licht eines sterbenden Scheinwerfers spiegelte sich in einer öligen Lache. Funken sprangen über. Im nächsten Augenblick brannte die Flüssigkeit lichterloh. Die Kabine des Lkw, verkeilt im zerbeulten Tank des Tanklastwagens, leuchtete auf. Jen schlug die Hände vor die Augen. Ihr ganzer Körper begann zu zittern. Sie sank in die Knie, kauerte sich am Boden zusammen wie ein Igel, der sich tot stellt, gerade noch rechtzeitig, bevor die Explosion den stählernen Tank in tausend Stücke riss. Die alte Fabrikhalle rüttelte und ächzte, irgendwo splitterte Glas, als hätte das gefürchtete große Beben begonnen.
Jen hielt die Augen geschlossen, bemerkte nichts vom flackernden, blutroten Lichtschein, den die Flammen ins Haus warfen, während sie gnadenlos Fahrzeuge und hilflos eingeklemmte Menschen fraßen. In ihrem Kopf wüteten andere Flammen, die sie nur mit äußerster Konzentration wieder eindämmen konnte. Die Anstrengung kostete ihre ganze Kraft. Kalter Schweiß brach aus allen Poren. Zu schwach, auch nur einen Laut von sich zu geben, blieb sie zitternd sitzen und wagte kaum zu atmen, aus Angst, sie könnte das Feuer weiter anfachen.
»Jen?«
Die Stimme ihres alten Freundes drang gedämpft an ihr Ohr, als schlummerte sie in einem schützenden Kokon. Sie wusste nicht, wie lang das Löschen ihres inneren Feuers gedauert hatte. Zaghaft schlug sie die Augen auf. Das kühle Licht der Leuchtstoffröhren brannte wieder. Die Gebläse der Computer rauschten wie gewöhnlich. Die Finsternis war dem Alltag gewichen, als hätte der Blackout nur in ihrem Kopf stattgefunden. Sie zitterte nicht mehr, richtete sich auf und blickte in die besorgten Gesichter ihrer Freunde: Jezzus, dessen schmieriger Hut wieder auf seinem alten Platz saß, Emma Bentson, das norwegische Mathematikgenie mit Nasenring, rabenschwarzen Augenringen und ebensolchen Secondhandklamotten, die stets penetrant nach Kampfer rochen und Mike Davenport, der riesige Engländer, der sich ›Proxy‹ nannte, weil er am meisten davon verstand.
»Alles O. K. mit dir?«, fragte Jezzus besorgt.
Sie stand auf, schüttelte sich wie ein Pudel nach dem Regen. »Was war das?«, murmelte sie benommen, statt zu antworten.
»Das möchten wir auch verdammt gern wissen«, brummte Mike. »Wir haben alle Verbindungen verloren, müssen den ganzen Scheiß neu tracen.«
Emma lachte verächtlich. »Was hast du erwartet nach einem solchen Blackout? Wie es aussieht, sind unsere Server nicht die Einzigen, die booten.«
Der Verlust des Kontakts zum Netzwerk der vermuteten Hacker war ärgerlich und konnte ihre kleine Truppe Tage kosten. Die Gegner waren vorsichtig und keine Anfänger. Sie versteckten sich hinter stets wechselnden Rechnern, die sie nur als Relaisstationen benutzten, Proxies, über die man den Weg zu den Systemen der Hacker nur mit viel Geduld fand. Mikes Spionageprogramm hatte eine Woche gebraucht, um den richtigen Zeitpunkt zu erwischen und sich einen Port zu schnappen, ein Loch in der
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