Lipstick
sauber, und jedes Schäferstündchen behielt immer den gewissen Kick des Abenteuers – das hatte ich selbst ein paarmal ausprobiert.
Aber heute gönnte ich Tom keine Rita und Rita keinen Tom. Es war Sommer, alle Welt hockte irgendwo draußen in Biergärten und Cafés herum, hielt Händchen und träumte sich in die Blätterkronen der Bäume, während ich einsam auf unserer zwei Quadratmeter großen Betonplatte namens Balkon über der Straße schwebte und ein Auto nach dem anderen vorbeipreschen sah.
Ich trank ein Glas Nobile di Montepulciano und war danach um so mehr der Meinung, daß Tom sich verliebt hatte. Natürlich hatte er sich in Rita verliebt! In eine, die Rita hieß, konnte man sich nur verlieben! Mit Sicherheit war sie klein und zierlich, dunkelhaarig, charmant und genau sein Typ. Sie ließ ihre sensiblen Finger mit den spitzgefeilten Nägeln auf seinem Rücken auf- und abwandern, just in diesem Moment hatte sie seine Schulterblätter erreicht, fand den kleinen Leberfleck unterhalb des Nackens, küßte ihn, roch an seinem Haaransatz und wurde von einer derartigen Begierde überrumpelt, daß sie ihn auf der Stelle vergewaltigte.
Jetzt drehte ich völlig durch und wechselte, weil mir der Himmel plötzlich eine Spur zu blau erschien, ins Wohnzimmer, wo im selben Moment das Telefon klingelte.
Es war Greta. Sie wolle am Samstag ein Essen geben, sagte sie, und ob ich kommen könne, vielleicht mit Tom oder mit wem auch immer …
»Ich überstehe solche Abende auch ohne einen Mann an meiner Seite«, blaffte ich sie an. Nur weil sie stolze Besitzerin eines Ehemannes und eines Babys war, mußte sie nicht glauben, daß sie alle Welt darum beneidete.
Wie es ihrem Mäxchen gehe, erkundigte ich mich dann, und wurde postwendend und ohne Punkt und Komma über Abstillprobleme, Babyfutterskandale und dergleichen informiert. Gretas Stimme war dabei wie ein gleichmäßiges Schnarchen, das sich erst langsam in den Traum frißt und nicht weiter stört, aber sobald man davon aufwacht, derart zu nerven anfängt, daß man es sofort abstellen muß, um nicht wahnsinnig zu werden. Ich hörte ihremGeschnarche anstandshalber noch eine Weile zu, aber dann setzte mir meine natürlich völlig unberechtigte Wut auf Männer und beste Freundinnen, auf schönes Wetter und guten Rotwein so verdammt zu, daß ich Greta abwürgte, auflegte und mich in mein Zimmer verkrümelte. Dort warf ich einen angeekelten Blick auf den Videorecorder und legte mich kurzentschlossen ins Bett, um vom Rest der Welt nichts mehr mitzukriegen.
Tom sog wie verrückt an seiner Zigarette. Das tat er immer, wenn er keine Lust hatte, mit mir zu reden, und wenn ihm zusätzlich sein schlechtes Gewissen zu scharfen machte. Postorgiastische Migräne nannte man das. Tag und Nacht ging das so, übervolle Aschenbecher bevölkerten jedes Quadratzentimeterchen unserer Wohnung, und wenn ich mal mit ihm sprechen wollte, wechselte er in den Sessel oder in den Küchenstuhl und suchte mit den Augen die Zimmerdecke ab.
Dabei war Rita seine Sache – diese Rita, die hübscher sein mußte als Toms Vorstellung von hübschen Frauen. Das konnte ich jedenfalls an seinem Blick ablesen. Und sowieso war ich nie sein Typ gewesen: zu blond, zu groß, zu athletisch, zu blaue Augen, zu bäuerlich-plumpe Hände, zu kräftige Fesseln – nicht mal meine Knie waren spitz genug. Tom hatte es in den acht Jahren, die wir zusammenlebten, mindestens einmal pro Monat geschafft, von spitzen Frauenknien zu schwärmen. Spitze Frauenknie waren sozusagen der Inbegriff von Weiblichkeit, die lenkten davon ab, daß die femininen Wesen in seiner Umgebung auch noch andere Eigenschaften besaßen – zum Beispiel einen Willen oder gar eine eigene Kontonummer.
Also gut, war er eben verliebt. Sollte er doch! Ich hatte schließlich meine Arbeit – ganze fünf Kassetten Florida-Clan stapelten sich auf meinem Schreibtisch –, einen vollen Kühlschrank, meine Erinnerungen an erotische Eskapaden von früher und außerdem die Aussicht auf einen neuen Job.
Eigentlich hätte ich nicht lange zu fackeln brauchen und mir sofort irgendeine Affäre zulegen können, aber erstens war ich durch die Abgabetermine meiner Synchronfirma an meinen Schreibtischgefesselt, und zweitens hatte ich es in neunundzwanzig langen Jahren nicht hingekriegt, die Technik des Männeraufreißens zu lernen. Note fünf – da war wirklich nichts zu machen. Mir gelang ja nicht mal ein harmloser Flirtblick, ganz zu schweigen von einem eindeutigen
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