Little Miss Undercover - Ein Familienroman
weißes Hemd und eine wirklich geschmackvolle Krawatte. Eigentlich sieht er gut aus, aber seine kühle Professionalität wirkt wie eine Maske. Für einen Beamten ist sein Anzug zu kostspielig, das weckt meinen Verdacht. Alles und jeder weckt meinen Verdacht.
»Bitte geben Sie Ihren Namen und Ihre Adresse zu Protokoll«, sagt der Inspektor.
»Isabel Spellman. Siebzehn neunundneunzig Clay Street, San Francisco, Kalifornien.«
»Ihr Alter und Ihr Geburtsdatum.«
»Ich bin achtundzwanzig. Geboren am 1. April 1978.«
»Ihre Eltern sind Albert und Olivia Spellman, richtig?«
»Ja.«
»Sie haben zwei Geschwister: David Spellman, dreißig, und Rae Spellman, vierzehn, richtig?«
»Ja.«
»Bitte geben Sie Ihren Beruf und den aktuellen Arbeitgeber zu Protokoll.«
»Ich habe eine Lizenz als Privatdetektivin und arbeite für Spellman Investigations , die Detektei meiner Eltern.«
»Seit wann arbeiten Sie für Spellman Investigations ?«, fragt Stone.
»Seit ungefähr sechzehn Jahren.«
Stone überfliegt seine Notizen und blickt dann zur Decke. Er scheint verwirrt. »Dann haben Sie mit ungefähr zwölf Jahren begonnen?«
»Richtig«, antworte ich.
»Ms. Spellman«, sagt Stone, »erzählen Sie mir alles von Anfang an.«
Wann alles anfing, kann ich nicht auf die Minute genau benennen, was ich aber mit Bestimmtheit weiß: Es fing nicht vor drei Tagen, einer Woche, einem Monat oder einem Jahr an. Um zu begreifen, was meiner Familie angetan wurde, muss ich ganz von vorn beginnen. Und das ist lange her.
I
V ORKRIEGSZEIT
V OR LANGER Z EIT
Mein Vater, Albert Spellman, fing mit zwanzigeinhalb Jahren beim San Francisco Police Department an, wie vor ihm schon sein Vater, sein Großvater und sein Bruder. Nach fünf Jahren wurde er zum Inspektor befördert und zur Sitte versetzt. Zwei Jahre später geriet Albert ins Stolpern, als er einem Informanten einen Witz erzählte, und stürzte eine Treppe über zwei Stockwerke hinab. Seither wurde er immer wieder von unvorhersehbaren Rückenschmerzen gepeinigt.
Gegen seinen Willen in den Vorruhestand versetzt, heuerte er umgehend bei Jimmy O’Malley an, der früher als Inspektor für Raubüberfälle zuständig war und inzwischen private Ermittlungen durchführte. Das war 1970. Auch wenn Jimmy stramm auf die achtzig zuging, mangelte es seiner Firma O’Malley Investigations nicht gerade an Aufträgen. Als mein Vater dazustieß, wurde daraus ein Bombengeschäft. Albert kann ungewöhnlich gut mit Menschen umgehen, seine Arglosigkeit und sein lässiger Charme wecken auf Anhieb Vertrauen. Und obwohl sich sein Sinn für Humor auf reinem Boulevardniveau bewegt, bringt er wirklich jeden zum Lachen. Einige Standardwitze – wie zum Beispiel das Herausniesen osteuropäischer Eigennamen – bringt er permanent. Nur seine Kinder bitten ihn hin und wieder, sich etwas Neues einfallen zu lassen.
Bei einer Größe von 1,90 Meter und einem Gewicht von 110 Kilo hätte seine äußere Erscheinung leicht bedrohlich wirken können, doch sein schlendernder Gang täuschte schon immer über die Kraft hinweg, die in ihm steckte. Sein Gesicht spottet jeder Beschreibung, denn die Züge harmonieren so wenig miteinander, dass es nach einer wilden Collage verschiedener Gesichter aussieht. Meine Mutter behauptet: Wenn man nur lang genug hinstarrt, sieht er richtig gut aus. Worauf mein Vaterergänzt: Aber deine Mutter ist die einzige, die sich genügend Zeit genommen hat.
Als Albert 1974 im Auftrag einer Versicherungsgesellschaft eine gewöhnliche Observation durchführte, die im Dolores Park endete, sah er hinter Büschen eine zierliche kleine Brünette lauern. Neugierig ließ er von der Beschattung ab, für die er bezahlt wurde, um dieser geheimnisvollen Frau auf die Spur zu kommen. Bald vermutete er, dass die verdächtige Brünette selbst eine Art Observation durchführte. Zu diesem Schluss kam er, als sie eine Kamera mit einem riesigen Teleobjektiv aus ihrer Handtasche holte und serienweise ein junges Paar ablichtete, das sich auf einer Parkbank abküsste. Da ihr hektischer Umgang mit dem Fotoapparat die Laiin verriet, wollte Albert ihr ein paar nützliche Tipps geben. Er ging auf sie zu, entweder zu schnell oder zu dicht heran (keiner der beiden kann sich heute an Details erinnern), und bekam ihr Knie in den Unterleib gerammt. Später erzählte mein Vater, er habe sich verliebt, kaum dass der Schmerz nachließ.
Bevor sie ihn mit einem weiteren Stoß außer Gefecht setzte, stellte sich Albert rasch vor, um
Weitere Kostenlose Bücher