Lokale Erschuetterung
noch einen Kaffee, wenn du willst. Sie dreht sich um im Bett, und Hanns wundert sich ein weiteres Mal, mit welcher Eleganz sich das üppige Frauenfleisch bewegt. Fließend, als folge es anderen physikalischen Gesetzen, als gehorche es den Befehlen des Hirns immer einen Sekundenbruchteil später und reagiere stets mit einem kleinen Nachbeben. So wie jetzt Katja Schwenkers Hintern, der sich in einer anmutigen, aber doch gewaltigen Kurve unter der dünnen Bettdecke abzeichnet.
Ich muss nach Hause, sagt Hanns. Habe ja Besuch.
Sie hebt den linken Arm und winkt oder scheucht den Kerl weg, der nicht sie meint, wenn er zwischen ihren Brüsten liegt, sondern nur sich. Möglich, dass sie zufrieden damit ist.
Hanns läuft nach Hause. Kauft unterwegs beim Bäcker ein paar Brötchen und ein Glas Konfitüre. Sicherheitshalber einen halben Liter Milch. Es ist fast neun. Wenn Daniel kein Langschläfer ist, wird er wach sein und sich wundern, dass Hanns nicht auf der Couch liegt. Vielleicht vermutet er ihn dann in der Redaktion, aber da geht er heute erst mittags hin. Irene Paulsen weiß Bescheid, und die Aufträge sind verteilt.
In der Wohnung ist es still. Also schläft Daniel noch. Schluffi, sagt Hanns. Penner, sagt er und stellt die Tüte mit den Einkäufen auf den Küchentisch. Rollt sein Bettzeug |334| zusammen, macht das Radio an und deckt den Frühstückstisch. Leise ist er nicht, der Junge kann nun wirklich aufstehen, schließlich haben sie etwas zu bereden. Und Veronika wartet auf den Anruf. Hanns kocht Kaffee und füllt ihn in eine Thermoskanne, die er in der Einbauküche vorgefunden hatte, als er einzog. Er selbst kaufte sich so etwas nicht, aber das Ding ist nützlich. Nützlich und hässlich ist es.
Hanns geht ins Wohnzimmer und überlegt, ob er Musik auflegen soll. Lässt es dann aber sein. Weil es ihm vorkommt, als täten dies nur Väter. Ihre verpennten Söhne morgens mit Musik zu wecken. Freunde machen so was nicht, denkt er und hat keine Ahnung, warum er sich solch einen Blödsinn zusammenreimt. Er stellt das Radio in der Küche lauter, einen Tick mehr als gewöhnlich und setzt sich an den Küchentisch. Gibt Daniel noch zehn Minuten. Eine Mütze Schlaf, sagt Hanns und schaut auf die Uhr. Dann komme ich dich holen, Freundchen. Dann reden wir Tacheles.
Die zehn Minuten dauern eine Ewigkeit. Eine Ewigkeit dauern sie. Es ist inzwischen halb zehn. Hanns steht auf, geht zur Schlafzimmertür und klopft.
Daniel, sagt er. Noch mit gedämpfter Stimme. Daniel, es ist halb zehn, und ich habe Frühstück gemacht. Stehst du auf?
Aus dem Zimmer ist nichts zu hören. Hanns wird langsam sauer. Dieses Weichei könnte jetzt einfach wach werden, aufstehen und sich an den gedeckten Tisch setzen. Er öffnet die Schlafzimmertür. Es ist dunkel und ein wenig stickig. Warum hat das Weichei denn kein Fenster aufgemacht, denkt Hanns und geht die Jalousie hochziehen. Daniel rührt sich nicht und macht keinen Mucks. Liegt auf dem Rücken und schläft. Allerdings.
Hanns geht zum Bett und rüttelt leicht an der Schulter seines Freundes, Stiefsohnes, Wasweißerwerdasist. Daniel |335| wacht nicht auf, und nun schleicht sich eine kleine Beunruhigung an. So besoffen war der Junge nicht, auf keinen Fall war er das. Hanns legt zwei Finger an Daniels Hals und kommt sich albern vor. Der Hals ist kühl und unter den Fingern nichts zu spüren. Der ganze Daniel ist kühl. Und starr ist er auch.
Tot, sagt Hanns. Bist du tot, Daniel? Er setzt sich auf die Bettkante und rüttelt, schüttelt den ganzen Kerl im Bett. Der lässt sich rütteln, schütteln, als ginge es ihm am Arsch vorbei. Nichts wackelt an dem Jungen, es ist, als rüttele und schüttele man ein Brett.
Tatsächlich, sagt Hanns und lässt das Rütteln und Schütteln sein. Tatsächlich.
Er steht wieder auf, macht das Küchenradio aus, nimmt den Wohnungsschlüssel und geht. In der Apotheke wartet er, bis die Apothekerin zwei alte Damen abgefertigt hat. Das dauert seine Zeit, jedes Medikament wird erklärt, seine Anwendung erläutert. Hanns steht und hört zu. Wundert sich, dass die alten Schachteln noch so viele Fragen haben, wo sie doch wahrscheinlich den ganzen Kram hier schon seit Jahren einnehmen. Die Apothekerin wirkt fast sympathisch, wie sie dasteht und den beiden Weibern die Welt erklärt. Die waren zusammen beim Arzt, jetzt sind sie zusammen hier, und nachher werden sie zusammen die Tablettenschachteln füllen. Morgens, mittags, abends. Oder Montag, Dienstag, Mittwoch.
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