London Road - Geheime Leidenschaft
größerer Pluspunkt: Direkt um die Ecke lag die Jamaica Street, wo Olivia soeben den Mietvertrag für eine Zweizimmerwohnung über einem Coffeeshop unterschrieben hatte. Für sie schien sich alles zum Guten zu fügen. Was wieder einmal bewies, dass Beziehungen das A und O waren. Clark hatte Olivia ein Vorstellungsgespräch an der Universitätsbibliothek besorgt, und dort war man von ihrem Master in Bibliothekswissenschaften aus den Vereinigten Staaten ebenso beeindruckt gewesen wie von ihrer sechsjährigen Berufserfahrung. Man hatte ihr einen befristeten Vertrag angeboten, mit der Option auf eine unbefristete Stelle nach sechs Monaten.
Sie schien glücklich zu sein. Nervös, aber glücklich.
Doch Mick machte sich Sorgen um sie.
Da Olivia heute ihre neue Stelle antrat, hatte ich mich ihm als Begleitung bei der Besichtigung zur Verfügung gestellt. Die Wohnung, die wir uns ansehen wollten, war unmöbliert, was nicht gerade ideal war, aber die Lage in unmittelbarer Nachbarschaft zum neuen Apartment seiner Tochter machte dieses Manko wett. Das Objekt wurde von Bradens Agentur betreut, und es war Ryan, der uns die Wohnung zeigte. Als Mick und ich uns plötzlich ohne jede Vorwarnung nebeneinander auf den Fußboden legten, um von dort aus mit geübtem Blick die Qualität der handwerklichen Arbeit zu begutachten, sah Ryan uns verdattert an, bevor er verkündete: »Also, ich warte dann solange draußen.«
Früher hatten Onkel Mick und ich immer so dagelegen, wenn er mich zum Arbeiten mitgenommen hatte. Während der Mittagspause hatten wir uns auf dem Malerfilz ausgestreckt und albernes Zeug geredet. Heute allerdings stand mir nicht der Sinn nach Albernheiten. Heute wollte ich Antworten.
»Willst du mir sagen, wieso du dich an deine erwachsene Tochter klammerst, als könnte sie sich jeden Moment in Luft auflösen oder in tausend Teile zerbrechen?«
Mick drehte seufzend den Kopf in meine Richtung. Seine bernsteinfarbenen Augen waren voller Zuneigung, aber ich konnte noch immer den Schatten der Trauer in ihnen entdecken.
»Ich bin ihr Vater. Ich mache mir eben Sorgen um sie, kleine Maus.«
»Hat es was damit zu tun, dass sie all die Schuldgefühle wegen Yvonne mit sich rumschleppt?«
»Hat sie dir davon erzählt?«
»Ja.«
»Meine Tochter ist eine starke Persönlichkeit, genau wie du, und sie wird sich schon durchbeißen. Das weiß ich. Aber ich bin ihr Dad, und sie ist gerade in ein fremdes Land gezogen, hat all ihre Freunde zurückgelassen und muss jetzt ganz von vorne anfangen. Ich will einfach nur, dass es ihr gutgeht, und es macht mich unruhig, wenn ich nicht in ihrer Nähe sein kann. Dafür nehme ich sogar einen stümperhaften Anstrich in Kauf.« Er deutete auf die lange Wand, wo die Farbe in sichtbaren Schlieren getrocknet war. »Falls irgendwas ist oder sie mich brauchen sollte, wohne ich direkt um die Ecke.«
»Dann nimmst du die Wohnung?«
»Jawohl.« Er setzte sich auf und zog auch mich hoch. »Lust auf einen Trip zu Ikea?«
Ich grinste. »Ein Glück, dass heute Zahltag war.« Mick machte ein verständnisloses Gesicht. »Bei Ikea schlage ich manchmal etwas über die Stränge.«
»Aha.« Lachend half er mir auf die Beine.
Während ich mir den Staub vom Hosenboden klopfte, spürte ich plötzlich, wie Mick mich forschend musterte.
Ich begegnete seiner ernsten Miene mit einem fragenden Blick. »Was ist?«
»Um dich mache ich mir auch Sorgen.« Er strich mir die Haare aus dem Gesicht und streichelte mit seinem schwieligen Daumen meine Wange. »Du siehst müde aus.«
Ich lächelte trübsinnig. »Ich habe mich mit Cam gestritten.«
Er runzelte die Stirn. »Weswegen?«
Also erklärte ich ihm alles: die Sache mit Blair, wie sehr mich die Freundschaft zwischen ihr und Cam verunsicherte, und dass ich befürchtete, Cam würde jemandem wie mir nie wirklich denselben Respekt entgegenbringen wie jemandem wie Blair.
»All das spukt dir gerade im Kopf herum?«, fragte Mick staunend.
Ich nickte zaghaft, weil ich nicht ganz verstand, wie die Frage gemeint war.
»Du liebe Zeit, Mädchen. Ich wette, Cam hat nicht den blassen Schimmer, was du ihm gestern Abend unterstellt hast. Für ihn kam das bestimmt aus heiterem Himmel. Vergiss nicht, Männer denken anders als Frauen.«
»Tja …« Ich schürzte die Lippen. »Das liegt daran, dass Männer das emotionale Fassungsvermögen eines Schnapsglases haben.«
Mick lachte, und wir gesellten uns nach draußen zu Ryan. »Ich nehme die Wohnung«, verkündete
Weitere Kostenlose Bücher