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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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stehen. Unter ihr pulsierte London im roten Licht wie von einer Schmelze, als habe sich die ganze flache Mulde in den Krater eines Vulkans verwandelt.
    Genau in diesem Moment hörte sie hoch über sich das Brummen feindlicher Flieger. Dennoch hatte sie keine Angst, denn sie waren zweifellos zum Zentrum unterwegs. Ein Flakgeschütz donnerte zu spät los, und Maisie wollte sich gerade umwenden, um zu Jennys Haus zu gehen, als sie ein sirrendes Geräusch wahrnahm. Spitfires. Zuerst konnte sie die Umrisse des halben Dutzends Flugzeuge am schwarzen Nachthimmel kaum erkennen, aber sie sah die kleinen Blitze ihrer Geschütze. Die Messerschmitts aus dem feindlichen Geschwader schwärmten wie zornige Hornissen nach oben. Über Dulwich, weiter nach Clapham und zum Fluß zogen die Flugzeuge ihre Schleifen und spien einander ihre tödlichen Geschosse zu. Maisie sah zu, wie sie Richtung Vauxhall flogen und bemerkte, daß eine Spitfire und eine Messerschmitt sich aus dem Schwarm der anderen Flugzeuge abgesondert hatten und zurück über Crystal Palace flogen. Sie kreisten direkt über ihr, kaum zweihundert Meter hoch, dann stiegen sie wieder hoch in die Luft, nur um gleich wieder nach unten zu stoßen.
    Ein Zweikampf zweier Kampfflieger. Fasziniert sah sie zu, wie die beiden Männer um ihr Leben kämpften. Wieder machten sie eine Schleife über dem Hügelkamm; der Deutsche flog direkt über sie hinweg. Sie wirbelte herum, als die Spitfire ihren Kreis vollendete und hinter der Messerschmitt herjagte. Sie sah und spürte nichts von dem plötzlichen Geschoßhagel, der ihren Hinterkopf traf und ihn platzen ließ wie eine kleine Kirsche.
    Wenn es heiß wurde wie jetzt, mußte man vor dem Feuer das Gesicht nach unten halten, wußte Charlie. Die Hitze um sie herum war so groß, daß er widerstrebend die Fläschchen aus seinen Stiefeln herausgewühlt und in ein Schlagloch geworfen hatte, weil er befürchtete, sie könnten platzen und Feuer fangen. Die Hauptgefahr, neben herabfallenden Mauerteilen, stellte die Asche dar. Der brennende Staub konnte einem in die Augen fliegen und schmerzhafte Verletzungen verursachen. Charlie Dogget hatte vielleicht nichts dagegen, sich ein wenig harmlose Beute anzueignen, aber sobald er im Einsatz war, gab es in London keinen mutigeren Feuerwehrmann. Erst als er eine halbe Stunde ohne Unterbrechung direkt an der Feuerfront geschuftet hatte, sagte ihm der diensthabende Leiter, er solle eine Pause machen.
    Von St.Mary-le-Bow her lagen Schläuche entlang der Straße. Charlie ging ihnen nach und wandte sich dann links Richtung Cheapside. Obwohl er das eigentlich nicht sollte, nahm er den Helm ab, um sich ein wenig abzukühlen. Von den beiden Gebäuden an der Ecke, die in der Nacht zuvor zerstört worden waren, war nur ein großer Krater geblieben, fast sieben Meter tief. Charlie setzte sich auf ein wenig Geröll an dessen Rand, holte ein paarmal tief Luft und blickte westwärts zu St. Paul's. Es war ein ehrfurchtgebietender Anblick. Irgendwie blieb Wrens mächtige Bleikuppel intakt. Um sie herum waren die brennenden Dächer wie ein rotes Meer, aus dem die gewaltige Kathedrale Londons mit der Gleichgültigkeit eines Felsens ragte. Es war, als erkläre das alte Gotteshaus, daß selbst Hitlers Blitzkrieg dem ehrwürdigen Denkmal, Herz und Seele der Stadt, nichts anhaben könne, dachte Charlie.
    Dann blickte er in den Krater vor ihm. Er schien größer und tiefer als die meisten zu sein, aber sonst war nichts Besonderes daran. Die Bombe war direkt durch die Grundmauern der Häuser gegangen, und Charlie konnte auch Umrisse früherer Steinfundamente erkennen. Im flackernden Licht der Flammen glaubte er eine Art Fliesenboden zu erkennen. Eine kleine Explosion in der Nähe beleuchtete die Grube einen Augenblick lang ein wenig heller, und Charlie sah unten etwas glitzern. Er vergewisserte sich, daß niemand in der Nähe war, und kletterte vorsichtig nach unten. Das Glitzern schien unter dem Deckel einer Art Truhe hervorzukommen, auf der eine Menge Geröll lag. Charlie griff hinein, pfiff leise und zog vorsichtig wieder die Hand heraus. Die Münzen waren schwer und sahen nach Gold aus.
    Plötzlich fiel der Lichtstrahl einer starken Taschenlampe über den Rand des Kraters und Charlie sah, daß er tatsächlich eine Handvoll Gold hatte. Der metallische Deckel gehörte zu einem Behältnis, in dem eine Menge ähnlicher Münzen lagen, und daneben waren noch weitere Behältnisse. Ohne es zu wissen, hatte Charlie Dogget das

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