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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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DER FLUSS
    ALS DIE ERDE noch jung war, wogten immer wieder Meere über diesen Ort. Vor vierhundert Millionen Jahren, als die Kontinente noch ganz anders angeordnet waren, war die Insel ein kleiner, öder Vorsprung am nordwestlichen Rand einer weiten, formlosen Landmasse. In seiner südöstlichen Ecke hinterließ das zurückweichende Meer ein nacktes Land aus dickem, dunklem Schiefer. Unter dieser Schicht hatte eine noch ältere Kraft tief im Erdinneren ein sanft abfallendes, etwa zweitausend Fuß hohes Gebirge entstehen lassen.
    In den acht folgenden Erdzeitaltern, in denen die Kontinente sich verschoben, blieb der Ort, wo das Schiefergebirge lag, nahezu ungestört. Doch Meere kamen und wichen noch viele Male. Manche Meere waren kalt, manche warm. Jedes blieb viele Millionen Jahre. Immer hinterließen sie dicke Ablagerungen, so daß schließlich das Schiefergebirge trotz seiner Höhe tief unter diesen Ablagerungen begraben wurde und es kaum noch einen Hinweis auf seine Existenz gab.
    Als immer mehr Pflanzen die Erdoberfläche bedeckten und es im Wasser von Leben wimmelte, bildeten sich weitere Schichten aus diesem neuen, organischen Leben. Etwa um die Zeit, als die Dinosaurier ausstarben, verschwand ein großes Meer und hinterließ eine riesige Menge Ablagerungen, so daß die daraus entstehende Kreide schließlich einen Großteil des heutigen Südenglands und Nordfrankreichs bedeckte.
    Über der Stelle, an der das uralte Gebirge begraben lag, entstand eine neue, völlig andere Landschaft. Weitere Meere kamen und gingen, und riesige Flußsysteme aus dem Landesinneren legten diese Ecke des Vorsprungs trocken. Die Kreideschicht wurde zu einem etwa zwanzig Meilen breiten, flachen Tal geformt; nördlich und südlich standen steile Klippen, zum Osten hin öffnete sich das Tal zu einem riesigen V Die diversen Überschwemmungen brachten weitere Kies- und Sandablagerungen. Ein tropisches Meer hinterließ inmitten des Tals eine dicke Schicht weicher Ablagerungen, die eines Tages als Londoner Ton bekannt werden sollte. Das Kommen und Gehen der Meere formte aus den jüngeren Schichten innerhalb des großen Kreide-Vs neue, etwas niedrigere Berge. So sah der Ort vor etwa einer Million Jahren aus, an dem später einmal London entstehen sollte.
    Doch bevor der erste Mensch dort auftauchte, mußte noch ein wichtiger Prozeß ablaufen: die Eiszeiten. Die gigantischen Gletscher schaufelten Täler aus und glätteten Berge, und ihr schmelzendes Wasser schuf eisgefüllte Ströme, die den Kies aus ihren Betten wuschen.
    Der kleine nordwestliche Vorsprung der großen eurasischen Landmasse war nur zum Teil von Eis bedeckt gewesen. Als die Ausdehnung der Gletscher am weitesten vorangeschritten war, endete die Eiswand genau am Nordrand des langen Kreide-Vs. Damals, also vor etwa einer halben Million Jahren, strömte ein großer Fluß aus dem Zentrum des Vorsprungs nach Osten und kam nördlich des langen Kreide-Vs vorbei. Als das fortschreitende Eis anfing, seinen Lauf zu blockieren, suchte sich der Fluß einen anderen Weg; etwa vierzig Meilen westlich der Stelle, an der sich das Schiefergebirge befand, verschaffte er sich an einem schwachen Punkt des langen Kreidegebirges einen schmalen Durchbruch, der heute als Goring Gap bekannt ist. Dann floß er nach Osten hinunter in das Zentrum des Vs. So wurde der Fluß geboren.
    Erst in der letzten Eiszeit, vor etwas über hunderttausend Jahren, entwickelte sich der Mensch, wie wir ihn kennen. Irgendwann, als die Eiswand zurückwich, kam er in das Tal.
    Vor weniger als zehntausend Jahren schwappte das Wasser des schmelzenden Arktis-Eises in diese Gegend und überflutete die Ebene auf der Ostseite des Vorsprungs. Die Wassermassen durchbrachen die Kreidefelsen in einer großen J-Form und flossen in einem schmalen Kanal um das Fundament des Vorsprungs herum westlich zum Atlantik. So wurde der kleine Vorsprung eine Insel, die dem großen Kontinent, zu dem sie einst gehört hatte, vorgelagert war. Im Westen war der Atlantik, im Osten die Nordsee; am südlichen Rand, wo die hohen Kreidefelsen in die Richtung des nahe gelegenen Kontinents blickten, der schmale Ärmelkanal.
    Das große Kreide-V führte nun nicht mehr in eine östliche Ebene, sondern in ein offenes Meer. Sein langer Trichter wurde zu einer Flußmündung. An der östlichen Seite dieser Mündung wichen die Kreidefelsen nach Norden zurück; an der Ostseite dieser Berge entstanden ausgedehnte niedrige Wälder und eine Marschebene. Südlich davon

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