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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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sie auf. Sie war mehr ein Katalog, mit einer Doppelseite pro Station. Siebenunddreißig Zonen (oder 74 Doppelseiten) hatte ich bereits kartographiert, wobei die einzelnen Abschnitte relativ ähnlich, um nicht zu sagen identisch waren. Im unteren Drittel jeder Doppelseite hatte ich von rechts nach links zwei parallele, schnurgerade Linien gezogen, welche die Straße darstellen sollten. Eigentlich war es unsinnig, die Straße zu zeichnen. Sie verlief immer geradeaus. Es gab nur diese eine Straße, ich war nie auf eine Kreuzung oder Abzweigung gestoßen. Nicht einmal einen Feldweg oder einen Trampelpfad hatte ich entdeckt. Ich zeichnete trotzdem eine Doppellinie auf die nächsten zwei freien Seiten und verbrachte eine halbe Stunde, um stichworthaft festzuhalten, was sich seit der letzten Station ereignet hatte.
    Jede Zone war exakt 180 Kilometer lang. Auf allen linken Seiten des Buches hatte ich Grafiken angelegt, welche das Innere der zurückliegenden Stationen in der Draufsicht zeigten, soweit ich es in Erinnerung behalten hatte. Die Zeichnungen verliehen mir eine wertvolle Übersicht über die Raumverteilung der einzelnen Anlagen sowie eventuelle Fluchtwege und Rückzugsmöglichkeiten. Auf den rechten Seiten hatte ich alle Besonderheiten der Stationen notiert. Dazu gehörten auch die soziologischen Eigenheiten der jeweiligen Kolonien. Obwohl ich Dutzende von Stationen gesehen hatte, konnte ich bislang kein logisches Muster erkennen, nach dem die Lords die Gesellschaftsordnungen ihrer Kolonien errichtet hatten.
    Auf einigen Seiten der Karte hatte ich Kreuze entlang der Straße eingezeichnet, und einige schwarze Punkte fernab; die Kreuze markierten Oberflächenläufer, die mir das Leben schwer gemacht hatten und nun mit ein paar Kugeln im Leib vor sich hin rosteten. Die Punkte bezeichneten jene von ihnen, die ich in der Ferne entdeckt hatte und welche noch in den Zonen durch die Wüste patrouillierten.
    Die Karte war unvollständig, umfaßte womöglich nur ein winziges Stück der Straße, irgendwo aus ihrer Mitte. Niemand, den ich kennengelernt hatte, wußte, um wieviel Zonen sie davor oder danach noch zu ergänzen war – und ob es überhaupt weitere gab. Ich hatte in den letzten Monaten fast 6000 Kilometer zurückgelegt, oder 37 Zonen, je nachdem; immer geradeaus, immer bergab. Nach 3970 Kilometern Fahrt hatte ich auf Anweisung Gammas Prill zum ersten Mal an die Oberfläche geholt – aus der 22. Station, die ich passiert hatte. Seither hatte ich fünfzehn ihrer Modelle aus ebenso vielen Kolonien entführt. Fünfzehnmal hatte ich den Schlüssel an sie angeschlossen, ebenso oft hatte Prill nicht auf ihn reagiert. Seit fünfzehn Zonen praktizierten wir nun ihren Serientod.
    Ich fühlte mich schäbig bei diesem Gedanken.
     
    Von der Straße aus war von der Station außer einer mächtigen, über einen Hektar großen Betonplatte und den Aufbauten des Entlüftungssystems nicht viel zu erkennen. Ihr Eingang lag auf der bergab gelegenen Seite, wo das Bunkerdach eine fast zehn Meter hohe Stufe bildete. Nicht nur die Straße führte in einem Vier-Grad-Winkel bergab, die ganze Wüste tat es. Nur die Stationen waren waagerecht erbaut. Ich stieg aus dem Wagen und sah mich um. Dann lief ich zum Heck, öffnete den Kofferraum und ließ meinen Blick über die Schußwaffen wandern: Beretta, Sig Sauer, Glock, Mossberg … Ich wählte eine Browning 9mm mit achtzehn Schuß und Laser-Visierung. Sie diente nur dem absoluten Notfall und meinem persönlichen Sicherheitsbedürfnis. Mein effektivstes und gebräuchlichstes Werkzeug innerhalb der Stationen war der Downer, ein elegant geformter, mit Betäubungsmittel gefüllter Injektor, der aussah wie ein daumendicker, sündhaft teurer Füllfederhalter. Was für eine Substanz er enthielt, wußte ich nicht. Irgendeine Droge der Lords, die schon zu wirken schien, wenn man bloß ihren Namen erwähnte. Ein hammerhartes Zeug.
    Ich steckte den Downer in meine Jackentasche und aktivierte das Kraftfeld, das demontagefreudige Läufer vom Wagen fernhielt. Während ich mich der Station näherte, sah ich mich argwöhnisch nach hüfthohen schwarzen Kugeln um, die für gewöhnlich reglos in der Wüste lagen, bis sie die Erschütterungen von Schritten wahrnahmen. In weitem Umkreis konnte ich jedoch keinen Läufer entdecken. Unbehelligt erreichte ich die Plattform, lief entlang der langsam in die Höhe wachsenden Betonwand und stand schließlich vor dem Eingang. Über der rechteckigen Öffnung, von der aus

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