Unvergessen wie Dein Kuss
1. KAPITEL
E s war ein unmöglicher Ort für die Suche nach einem Ehemann.
Wenn sie die Wahl auf dem Heiratsmarkt hätten, würden die meisten Frauen mit Urteilsvermögen wohl immer die vornehme Vertrautheit von Almack’s bevorzugen, vor allen Dingen, wenn die Alternative das Fleet-Gefängnis war.
Fürstin Isabella Di Cassilis konnte sich diesen Luxus nicht erlauben. Sie war verzweifelt.
Die Fürstin hatte dem Kerkermeister ihre besondere Notlage erklärt. Sie musste unbedingt einen Mann heiraten, der so viele Schulden hatte, dass es auf ihre Verbindlichkeiten von zwanzigtausend Pfund auch nicht mehr ankäme. Ihr Zukünftiger sollte zudem von recht robuster Gesundheit sein, denn sie wollte vermeiden, dass er vor ihr sterben würde und sie zu ihren eigenen noch seine Schulden würde übernehmen müssen. Und sie brauchte ihn jetzt.
Wenn Isabella bei Bekanntwerden dieses Abenteuers gesellschaftlich geächtet würde, hätte dies für sie keinerlei Bedeutung. Ihr Ruf war ohnehin nicht mehr zu retten, die anspruchsvolleren Mitglieder des
Ton
verwehrten ihr bereits den Zutritt. Welchen Schaden sollte ein weiterer Skandal überhaupt noch anrichten?
Isabella Standish wurde nicht als Fürstin eines europäischen Landes geboren, nicht einmal eines so unbedeutenden wie Cassilis. Ihr Vater hatte zu den rangniederen Mitgliedern des
Ton
gehört, der seine ehrgeizigen Ziele nie ganz erreicht hatte. Ihr Großvater war Fischlieferant des geistig umnachteten König Georgs III. gewesen. Nach dem Genuss einer besonders schmackhaften Regenbogenforelle hatte der Monarch ihn in den Adelsstand erhoben.
Es war Isabellas Unglück gewesen, dass sie bei einem Bummel durch die Bond Street dem gelangweilten Fürsten Ernest Rudolph Christian Ludwig Di Cassilis aufgefallen war. Damals war sie 17 Jahre alt und stand kurz vor ihrer Vermählung. Er war bezaubert von ihrer hübschen Erscheinung und ihrem natürlichen Wesen und hielt mit einem Gegenangebot sofort um ihre Hand an. Ihr Vater war nicht gesonnen, dieses Angebot abzulehnen, da ihm aufgrund seiner ausschweifenden Lebensweise der Bankrott drohte. So kam Fürst Ernest gerade zur rechten Zeit, wenn auch nicht für Lord Standishs Tochter. Die Hochzeit, die einige Tage danach stattfand, war nicht die, die Isabella sich vorgestellt hatte.
Es war auch gänzlich Fürst Ernests Schuld, dass seine Witwe zwölf Jahre später einem Kerkermeister durch einen engen steinernen Korridor in die Verliese des Fleet-Gefängnisses folgte. Ernest war höchst unpassend in den Armen seiner Mätresse gestorben, wodurch er seiner Frau nichts als Schulden und einen befleckten Namen hinterlassen hatte. Nachdem Isabella nach England heimgekehrt war, entdeckte sie, dass die Untreue ihres verstorbenen Mannes auch finanzieller Art war. Ernest hatte in ihrem Namen Schulden auflaufen lassen. Jetzt also wurde sie zu verzweifelten Maßnahmen gezwungen, um sich von diesen unglücklichen Schulden zu befreien.
Isabella zog den schwarzen Umhang enger um sich und drückte die Kapuze tiefer ins Gesicht. Im Gefängnis wurden alle ihre Sinne beansprucht. Hier war es fast stockdunkel. Die Luft war erfüllt mit Hitze und Tabakrauch. Dazu kam der durchdringende Gestank hunderter Leiber auf engstem Raum. Laute Stimmen mischten sich mit dem Klirren eiserner Fesseln, die über den Steinboden schabten, und mit dem Schreien und Weinen von Kindern. Der Fußboden war schmierig, und an den Wänden lief Wasser herab, auch im Sommer. Hände griffen in die Falten von Isabellas Umhang, als sie vorbeiging. Sie spürte, wie sich die Verzweiflung der Gefangenen dem gesamten Ort mitteilte, von den Wänden rann und sie gleichsam einhüllte. Entsetzen und Mitleid schnürten ihr fast die Kehle zu und ließen ihren ganzen Körper erzittern. Bevor sie in dieses Höllenloch hineingegangen war, hatte sie geglaubt, dass ihre Lage verzweifelt sei. Aber sie hatte nicht einmal gewusst, was Verzweiflung war. Und doch war der Abstand zwischen ihren Lebensumständen und dem, was sie hier antraf, gefährlich gering. Ein Mensch musste nur einmal von seinem gesicherten Weg abkommen und ausgleiten, um dann hier in diesem Abgrund vergessen und unbeweint zu enden.
Der Kerkermeister schob Isabella am Arm weiter. “Es ist jetzt nicht mehr weit.”
Als er spürte, wie sie zitterte, fügte er in dem unbeholfenen Versuch, ihr Trost zuzusprechen, hinzu: “Wir haben eine bessere Klasse von Gefangenen im Haus des Gefängnisdirektors untergebracht, Ma’am. Sie haben da
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