Sherlock Holmes Bisher unbekannte Fälle Sammelband 1
Holmes bekam sich schnell wieder unter Kontrolle, er nahm das Papier zurück, schaute noch einmal darauf und sagte: „Was für ein ungewöhnliches Schreiben. Darauf könnte man gern verzichten. Mein lieber Watson, was halten Sie von diesem Brief?“
„Sehr makaber, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Nun ja, es ist eine Morddrohung. Offensichtlich trachtet Ihnen jemand nach dem Leben.“
„Das sehe ich auch. Und ich sehe das Schreiben nicht als misslungenen Scherz, da ich keinen Menschen kenne, der sich einen solchen Scherz mit mir erlauben würde. Betrachten wir einmal den Brief und versuchen, etwas über die Person herauszufinden, die ihn geschrieben hat.“
„Nun“, ich schaute auf das Schreiben in Holmes‘ Hand. „Nun, dieser Jemand kann schreiben und hasst Sie aus irgendeinem Grunde, und er kennt Ihre, unsere Adresse und hat in einem Brief mitgeteilt, dass er Sie zu töten beabsichtigt. Was könnte man sonst noch aus drei Zeilen herauslesen?“
„Ist das alles, mein Freund?“
Ich spürte Holmes‘ Blick und wusste um seinen analytischen Verstand, der aus einem Haar die Lebensgeschichte des Besitzers heraus lesen konnte und bemühte nun meinerseits meinen einfachen Verstand, um Holmes nicht völlig zu enttäuschen.
„Ich denke schon, das Papier ist ganz normales Schreibpapier ohne Wasserzeichen, geschrieben wurde mit einem Füllfederhalter und blauer Tinte. Die Unterschrift fehlt und einen Absender gibt es auf dem Umschlag nicht, da der Schreiber offensichtlich anonym bleiben will.“
Ich zeigte auf den Umschlag, der auf dem Tisch lag, um meine Worte zu unterstreichen.
„Watson, benutzen Sie Ihre Augen! Der Brief kam mit der Post. Er trägt einen Poststempel von London, wurde also in London aufgegeben. Der Absender hat keinen Boten beauftragt, den Brief zu unserer Adresse zu bringen, da wir diesen Boten zur Person des Absenders befragen könnten. Die Adresse wurde allerdings mit London W1, Baker Street 221b angegeben. Kein Mensch, der einen Brief innerhalb Londons verschickt, schreibt den Postcode auf den Umschlag. London, Straße und Hausnummer reichen völlig aus. Nur wenn der Bestimmungsort eines Briefes eine andere Ortschaft ist, schreibt man den Postcode auf den Umschlag, um der Post die Zuordnung zu erleichtern. Der Absender ist somit keine bereits länger in London wohnende Person.
Nun zum Text, die drei Zeilen mit dem jeweiligen Wort ‚sterben‘ am Ende stehen in keiner logischen Reihenfolge, es müsste meiner Meinung nach heißen:
Sherlock Holmes soll sterben
Sherlock Holmes muss sterben
Sherlock Holmes wird sterben.
‚Wird sterben‘ muss an letzter Stelle stehen. Erst der Grund, der Casus, dann das Ereignis, so wäre der causale Zusammenhang von Ursache und Wirkung eindeutig.
Das Schriftbild wird beinahe mit jedem Wort schlechter und zittriger. Wir haben es mit jemandem zu tun, dessen Verstand eher von einfacher Art ist und der nicht oft und niemals viel auf einmal mit der Hand schreibt. Hinzu kommt, was man unzweifelhaft an der Form der Bögen und Häkchen erkennen kann, dass der Schreiber Linkshänder sein muss.“
„Aber Holmes! Wie können Sie so locker mit der Morddrohung umgehen und sie analysieren, als wäre es ein Rätsel in der Zeitung? Sollten wir den Brief nicht ernst nehmen und die Polizei einschalten? Immerhin geht es um eine Morddrohung! Um die Androhung des Mordes an Ihnen! Ich denke, Inspektor Lestrade ...“
„Ich nehme Brief und Morddrohung sehr wohl ernst, Watson, aber die Polizei werden wir nicht bemühen.“
„Ach, werden wir nicht? Aber wir werden die Angelegenheit zu unserem Fall machen und sie aufklären, richtig?“ Ich rieb mir tatendurstig, aber auch ein wenig besorgt die Hände und fragte: „Nun gut, Holmes. Wenn wir die Polizei nicht einschalten, was ich, offen gesagt, für einen Fehler halte, was tun wir stattdessen?“
„Zunächst einmal werden wir unser Frühstück zu einem erfolgreichen Ende bringen, es wäre doch schade um die Mühe der guten Mrs. Hudson und Verschwendung von Lebensmitteln, wenn wir Toast, Eier und Bacon ein Ende im Müll zukommen ließen.“
Den Rest des Frühstücks verzehrte Holmes mit gutem Appetit und ließ sich zu keiner weiteren Äußerung über den ominösen Brief verleiten. Bald darauf zog er seinen Mantel an und verschwand. Er hatte einen Fall zum Abschluss gebracht, bei dem es um den Diebstahl wertvollen Schmuckes ging, und musste seine Aussage bei der Polizei abgeben und die Details der
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