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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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re Augen waren jetzt auf einer Höhe mit dem Boden des Flurs. Das Echo bog um die Ecke, trat durch die Tür auf den Korridor. Fees Lippen waren fest zusammengepresst, ihre Augen trüb. Der Luftstrom brach nicht ab, er zog sich durch den ganzen Turm. Die Seide trieb auf dem Wind wie die Gewänder eines Geistes, Strahlen einer weißen Sonne, in deren Zentrum Fees Kö r per leuchtete. Ihr leerer, geschundener, wunderschöner Körper.
    »Hör auf damit!«, brüllte Ailis. »Glaubst du, ich weiß nicht, was du tust?« Um ihre Worte zu unterstreichen, stach sie die Schwertspitze tiefer in ihre Haut, und jetzt konnte sie das Blut spüren, unten am Griff. Warm und klebrig rann es die Klinge hinab. Es gelang ihr nicht, den Schmerz noch länger zu unterdrücken, und sie schrie auf. Dennoch ließ sie das Schwert nicht sinken.
    Das Summen brach ab. Der Blick des Echos wurde wieder klar und boshaft. Gri n send schaute es auf Ailis herab, schüttelte dann langsam den Kopf. »Ich bin ne u gierig«, flüsterte es. »Neugierig, was du tun wirst, kleine Ailis. Wie lange willst du mir deinen Körper noch vo r enthalten?«
    Ailis ging weiter nach unten. »Du hättest ihn schon damals haben können, als Fee das Gitter geöffnet hat.«
    »Aber sie war die Schönere von euch beiden. Ich wol l te wissen, wie es ist, so schön zu sein. Ich habe einiges von ihr gelernt. Oder besser durch sie! Was hättest du mir schon bieten können? Schwerter, Hufeisen und einen tumben Schmied.« Das Echo lachte gehässig. »Ich hätte ihn dazu bringen können, das gleiche mit dir zu tun, was all diese Männer mit Fee getan haben. Hätte dir das g e fallen?«
    Ailis versuchte, nicht hinzuhören. Das Echo wollte sie nur noch weiter reizen, sie zur Unaufmerksamkeit verle i ten. Aber noch war sie stark genug, ihm zu widerstehen.
    Sie tastete sich nun doch rückwärts von Stufe zu Stufe. Die steinerne Mittelsäule der Wendeltreppe verdeckte ihre Sicht auf das Echo, nur die Enden der flatternden Seidenbahnen schauten dahinter hervor. Sie verrieten, dass das Echo ihr weiterhin folgte.
    Endlich erreichte sie die kleine Eingangshalle am Fuß des Turmes. Die Abenddämmerung war hereingebr o chen. Die Geräusche der umherirrenden Tiere schienen nachz u lassen, die meisten suchten sich bereits geschützte Wi n kel für die Nacht. Nur aus dem Schweinekoben drang noch immer das laute Grunzen und Schmatzen der Mastsau, die sich an ihren toten Stallgenossinnen gütlich tat.
    Ailis trat ins Freie, wandte sich rückwärts zum Portal der Kapelle. Hier draußen, auf dem ebenen Vorplatz, konnte sie schneller gehen. Ihre Finger waren jetzt völlig von ihrem eigenen Blut verklebt, das langsam an der Schneide herablief. Übelkeit rumorte in ihren Eingewe i den, und nur ihre feste Entschlossenheit, die Kapelle zu erreichen, hielt ihre Angst im Zaum.
    Auch das Echo verließ den Turm. Der Luftzug, der durch d as Gemäuer gerast war wie durch einen Kami n schacht, ließ nach, die blütenweißen Seidenenden sanken zu Boden. Achtlos wurden sie durch den Schlamm gez o gen, wurden braun, dann schwarz. Auch der Saum des Kleides verfärbte sich. Es sah aus, als fräße sich eine Woge von Fäulnis an Fees Körper empor.
    Ihre Blicke trafen sich. Das Echo lächelte nicht mehr, aber es machte auch keinen weiteren Versuch, Ailis au f zuhalten. Dabei musste es längst erkannt haben, wohin es sie zog. War ihre Hoffnung vergebens? War es nichts als Altweibergeschwätz, dass die Wesen von Faerie kein Haus Gottes betreten durften?
    Denk nicht an so was! Schieb solche Gedanken ganz weit von dir, achte nicht auf sie!
    Ailis’ Fersen stießen gegen die Stufe des Kapellenpo r tals. Beinahe wäre sie gestolpert und nach hinten g e stürzt.
    Ein Schaf starrte sie aus dem Schatten einer Scheune an, völlig bewegungslos. Der teilnahmslose Blick aus dunklen Augen irritierte Ailis einen Moment lang, dann berüh r te ihr Rücken das halbrunde Doppeltor. Mit der rechten Hand hielt sie weiterhin das Schwert, mit der linken tastete sie nach der schweren Türklinke. Der Ko l ben fühlte sich kalt an wie der Arm eines Toten.
    Es war nicht einfach, die Klinke mit nur einer Hand nach unten zu drücken. Die Doppeltorhälfte ächzte, als Ailis sich mit ihrem ganzen Gewicht dagegen stemmte, um sie nach innen zu schieben. Der Türflügel gab einen Spaltbreit nach, dann stieß er auf Widerstand. Irgende t was blockierte ihn von der Innenseite.
    Das Echo kam näher. Noch einmal fuhr ein Windstoß aus den Weiten der Hoc h

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