Lost Place Vienna (German Edition)
Auch jetzt. Schlanker
machte es ihn nicht. Aber das war ihm wohl auch egal. Das Schwarz stand für die
Art Film, die er liebte: noir .
»Den mit Douglas Fairbanks kannst du vergessen. Netter Stummfilm,
aber sonst eher langweilig. Wenn du was geraucht hast, ganz lustig. Da ist der
mit Gene Kelly schon eine andere Sache. Vor allem, was die Fechtszenen angeht.
Fast ohne Schnitte, viel in der Totalen. Und trotzdem nicht fad. Die haben
durch den Rhythmus der Choreografie den Schnitt im Kopf des Zuschauers
suggeriert. Einfach genial.«
Valentina nickte, wusste aber nicht, was Nocker damit meinte.
»Fred Astaire hat einmal gesagt: ›Entweder die Kamera bewegt sich
oder ich.‹ Heute unvorstellbar.«
Er drückte ihr den Film mit Gene Kelly in die Hand und sah sie
bedeutungsvoll an: »Von 1948, Regie: George Sidney.«
Valentina nickte.
»Sagt dir nichts? Sidney?« Nocker schüttelte enttäuscht den Kopf und
atmete schwer durch. »Sidney hat ›Scaramouche‹ gedreht und – jetzt kommt’s –
›Viva Las Vegas‹ mit Elvis und Ann-Margret. Wusstest du, dass sie ein Paar
waren?« Er ging voran, während er weiterplapperte. Valentina überlegte, was sie
mit so einem anstellen würde, wenn sie ihn zu verhören hätte.
»Der nächste Knaller ist die Version aus den Siebzigern. Von Richard
Lester. Mit Michael York als d’Artagnan und Faye Dunaway als Lady de Winter.
Gefällt mir persönlich am besten. Siebziger eben. Da waren die Amis am
europäischsten, wenn du verstehst. Das Studiosystem brach zusammen, Vietnam
warf neue Fragen auf. Typen wie Scorsese und Cimino begannen Filme zu machen.
Apropos Dunaway. Ich könnte dir den Director’s Cut von ›Chinatown‹ mitgeben.
Der beste Film für einen Cop. Da lernt man am besten, dass nichts ist, wie es
scheint. Polanski. Darüber geht gar nichts. Kennst du die Kurzfilme von ihm?
Als er noch in Lodz war? Kennst du bestimmt nicht. Aber ›Chinatown‹ gebe ich
dir.«
»Ja. Leg ihn dazu.«
Valentina wusste, dass es wenig Sinn hatte, Nocker zu widersprechen.
Ein Wort, und er würde von Dunaway zu Steve McQueen kommen, und dann war alles
vorbei. Die Assoziationskette, die sich in Nockers Hirn abspulen würde, gliche
der Wucht einer Sintflut. Sie würde unweigerlich in Nockers beschworenen
Bilderwogen ersaufen.
»Die Produktionen der neueren Zeit sind recht belanglos. Vielleicht
den allerneusten? Mit Christoph Waltz als Richelieu?«
Valentina nickte. Drei Versionen würden wohl reichen.
»Und ›Bounty‹?«
»Da gibt es fünf Kinofilme, die den Stoff behandeln. Die letzte mit
Mel Gibson kannst du vergessen. Ich empfehle die von 1935 mit Clark Gable und
Charles Laughton. Oder die von 1962 mit Brando.«
»Gib mir die beiden.«
Nocker brauchte zwei Griffe, schon hatte er die DVD s in Händen.
»Interesse an Profiler-Thrillern?«, fragte er und zwinkerte keck.
»Hätte da ein paar Leckereien, die mit deinem Fall zu tun haben könnten.«
»Nocker, die Realität ist kein Blockbuster. Das Leben spielt eine
andere Dramaturgie. Wenn es immer der unverdächtige Nachbar oder der beste
Freund ist, mit dem niemand rechnet, wäre es doch leicht.«
»War nur ein Vorschlag. Wenn du mit denen hier durch bist und die
nächste Leiche im Schaufenster liegt, kannst du dich gerne an meinen Tipp
erinnern.«
Valentina sah auf den Stapel in ihren Händen. »Danke. Das reicht mir
erst mal. Wird eine lange Nacht.«
»Aber unterhaltsam.«
Nocker stieg die Stufen zur Kasse hoch. »Zahlst du bar?«
»Mit Karte.«
Valentina wurde fast übel, als sie die Summe ihres Einkaufs sah.
»Das zahlt mir mein Arbeitgeber niemals zurück.«
»Du solltest freiberuflich arbeiten. Dann kannst du es absetzen. So
wie Gittes in ›Chinatown‹.« Er grinste und tippte mit dem Finger auf die
oberste DVD des Stapels, ehe er alles in einem
Papiersackerl verstaute und Valentina überreichte.
»Viel Vergnügen – und Erkenntnis.«
Er war wieder zum lächelnden Shaolin-Meister geworden. Valentina sah
zu, dass sie aus dem Laden verschwand, ehe Nocker noch mit weiteren
unverzichtbaren Schätzen der Erkenntnis aufwartete.
Sie war gut in Form, vor dem unteren Eingang des Belvedere
überholte sie zwei Touristen, die sich auf Mieträdern der Stadt mühten, und
einen Fahrradkurier, der Waden wie gebratene Hähnchen hatte und es ruhiger
anging.
Ihr Handy klingelte. Noch ein paar Takte Klingelton, dann würde die
Mobilbox anspringen. Sie bremste und hob das Rad auf den Gehsteig. Dann nahm
sie den Anruf
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