Louisiana-Trilogie 1 - Tiefer Süden
ERSTER TEIL
1
D ie späte Abendsonne warf seidigen Glanz auf die Wellen des Flusses. Am Ufer drangen ihre Strahlen wie goldne Speere durch die Zweige der immergrünen Eichen, und in dem lang herabhängenden, graugrünen Spanischen Moos raunte der Wind wie ein leiser Unterton zu den lauten Rufen der Bootsleute.
Während die Männer das Flachboot festmachten, lehnte Judith sich über den Seitenrand und wusch einige Tücher und ein Paar braungelber Nankinghosen ihres Vaters aus. Es war schwer, Kleider im Fluß zu säubern. Wie eifrig man auch reiben mochte, immer hatten sie einen gelblichen Schein, wenn sie getrocknet waren. Welche Erleichterung würde es doch sein, wenn diese lange Reise endlich vorüber wäre und sie sich wieder wie zivilisierte Menschen angesiedelt hätten. Wie wundervoll würde es sein, wieder einen Brunnen mit klarem Wasser und einen großen Herd zum Kochen zu haben!
Die Männer banden das Boot mit Stricken an einem Baum fest, und Judiths Bruder machte sich daran, ein Feuer am Ufer zu entzünden. Ihr Vater schickte die Leute dann fort, um nach Wild Ausschau zu halten.
Das Boot tanzte in der Strömung leicht auf und ab. Judith breitete die Tücher und die Hose auf dem Deck aus, damit sie trocknen sollten, und machte sich selbst zum Abendessen fertig. Sie kämmte das Haar durch, das goldbraun und widerspenstig war wie der Strom, und nachdem sie die Zöpfe aufgesteckt hatte, band sie ein frisches Tuch um die Schultern. Ihre Mutter war schon mit dem Dreifuß an Land gegangen. Judith nahm die Kochtöpfe und folgte ihr.
Die Männer hatten gedörrten Mais, Bohnen und in Streifen geschnittenes getrocknetes Wild ans Ufer gebracht. Judith mischte Mais und Bohnen und schüttete Wasser dazu. Als sie den Topf auf den Dreifuß stellte, hörte sie vom Fluß her eine Stimme.
»Guten Abend, meine Reisegefährten!«
Sie erschrak ein wenig und schaute auf. Ein anderes Flachboot näherte sich der Biegung, und während die fremden Bootsleute es die Strömung hinunterstießen, winkte der Eigentümer nach dem Ufer. Er war groß und breitschultrig. Die Sonne hatte sein frisches Gesicht gebräunt bis auf eine Stelle, an der eine Narbe wie eine schmale, weiße Linie über seine linke Wange lief. Er trug einen Rock aus weinroter Atlasseide und Silberschnallen an den Knien und den Schuhen, und seine seidenen Strümpfe schimmerten im Sonnenlicht. Judith starrte ihn verwundert an. Sie hatten während ihrer Fahrt den Mississippi herunter andere Siedler getroffen, aber noch keinen, der in so vornehmer Kleidung reiste wie dieser Mann.
»Guten Abend!« rief Judiths Vater vom Ufer zurück und verbeugte sich höflich, aber ein wenig nachlässig. Allem Anschein nach hielt er nicht viel von einem Mann, der in so herausfordernd eleganter Aufmachung in die Wildnis hinauszog.
Der Fremde kam darüber nicht in Verlegenheit. Er grinste nur. Sein langes Haar, das mit einem schwarzen Seidenband zurückgehalten wurde, leuchtete in der Sonne rotgolden auf.
»Wollen Sie sich in Louisiana niederlassen?« rief er.
»Ja.«
»Gut. Ich auch. Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle. Philip Larne – zu Ihren Diensten.«
»Meine Empfehlungen, Mr. Larne. Mein Name ist Mark Sheramy. Dies sind meine Frau, mein Sohn Caleb und meine Tochter Judith.«
»Darf ich Ihnen allen meine Hochachtung ausdrücken. Ich nehme an, daß wir uns wiedertreffen werden.«
Mark Sheramy verneigte sich wieder. Der junge Mr. Larne berührte die Stirn, als ob er den Hut abnehmen wollte, aber da er keinen trug, machte die Bewegung den Eindruck, als ob er die anderen freundlich entließe. Sein Flachboot hatte die Biegung des Stromes erreicht, wo ein Dickicht von Schilf weit ins Wasser vorsprang. Mr. Larne sah jetzt Judith an und lächelte. Sein Blick wich nicht von ihr, bis sein Boot hinter dem Gestrüpp am Ufer verschwand.
Judith fühlte, daß ihr ein Schauer über den Rücken lief. Unruhig sah sie zu ihren Eltern hinüber, ob sie diese unverfrorene Aufmerksamkeit beobachtet hätten. Aber ihr Vater legte Holzscheite aufs Feuer, und ihre Mutter war eifrig damit beschäftigt, die Waldhühner zu rupfen und vorzubereiten, die von den Bootsleuten im Walde geschossen worden waren. Judith holte einen Topf Wasser und fragte sich, ob Mr. Larne sie wohl so angesehen hatte, weil er sie für schön hielt.
Sie war fünfzehn und alt genug, um hübsch aussehen zu wollen. Aber ihr Vater sagte, sie wäre noch zu jung, als daß sie Schmuck tragen könnte, und da sie niemals einen
Weitere Kostenlose Bücher