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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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erfahren, ob Marie den Anstrengungen der Reise wirklich gewachsen sei. Zwei der Ärzte, die die Kranke früher behandelt hatten, und von denen der eine an ein Zerreißen der großen Sehnen glaubte, der andere aber es für eine Lähmung des Rückenmarkes ansah, hatten sich schließlich dahin geeinigt, daß es Lähmung des Rückenmarkes sei in Verbindung mit Verletzungen, die sich vielleicht an den großen Sehnen befänden. Der Fall schien ihnen so klar, daß sie kein Bedenken trügen, jeder für sich einen Krankenschein auszustellen, der bei beiden beinahe gleich lautete. Sie hielten die Reise für möglich, wenn sie auch der Kranken heftige Schmerzen verursachen würde. Das hatte Pierre bestimmt, denn er hatte gefunden, daß die beiden Herren sehr klug und eifrig bestrebt gewesen waren, die Wahrheit zu ergründen. Eine unklare Erinnerung blieb ihm an den dritten Arzt, de Beauclair mit Namen, einen jungen Mann mit regem Verstande, noch wenig bekannt und, wie man sagte, etwas wunderlich. Nachdem er Marie lange betrachtet, hatte er sich genau nach ihren Vorfahren erkundigt und mit lebhaftem Interesse dem zugehört, was man ihm von Herrn von Guersaint erzählte, dem Architekten und verunglückten Erfinder mit dem schwachen Charakter und der üppig wuchernden Phantasie; dann hatte er den tatsächlichen Befund der Krankheit geprüft und dabei in diskreter Weise festgestellt, daß der Schmerz sich im linken Eierstock lokalisiert hatte, und daß dieser Schmerz, wenn man dort drückte, wie eine dicke Masse, die sie zu ersticken drohte, bis in ihre Kehle hinaufstieg. Auf die Lähmung der Beine schien er gar keinen Wert zu legen. Dann hatte er auf eine Frage sich sogar dahin geäußert, daß man sie nach Lourdes bringen müßte, da sie dort sicherlich geheilt werden würde, wenn sie davon überzeugt sei. Lächelnd fügte er hinzu, daß der Glaube genüge, daß zwei von seinen Patienten, sehr fromme Damen, von ihm im vorigen Jahre hingeschickt und strahlend von Gesundheit wieder zurückgekommen wären. Er gab sogar an, wie sich das Wunder vollziehen würde: beim Erwachen würde eine furchtbare Aufregung die Kranke ergreifen, während das Übel, jener quälende Druck, der sie zu ersticken drohte, zum letztenmal in ihr aufsteigen und verschwinden würde, als ob er durch den Mund entschlüpft wäre. Er schlug es rundweg ab, einen Krankheitsschein auszustellen. Seine beiden Kollegen behandelten ihn sehr kühl wie einen Kurpfuscher. Pierre hatte, wenn auch nur unklar, einige Stellen aus dem von Beauclair abgegebenen Gutachten behalten: eine Verrenkung des Organs mit leichten Rissen in den Sehnen infolge des Sturzes vom Pferde, dann eine langsame Wiederherstellung des natürlichen anatomischen Zustandes. Die Kranke habe jedoch stets unter dem nervösen Drucke der ersten Furcht gelebt. Ihre ganze Aufmerksamkeit sei auf die verletzte Stelle gerichtet; sie besitze gar nicht mehr die Fähigkeit, neue Vorstellungen zu bilden, es sei denn, daß dies durch die plötzliche Einwirkung einer heftigen Erregung geschähe. Allein der Gedanke, daß Mariens Leiden nur ein eingebildetes sein sollte, daß die entsetzlichen Schmerzen, die sie quälten, von einer längst geheilten Verletzung herrühren sollten, war Pierre so unglaublich vorgekommen, daß er sich dabei gar nicht weiter aufgehalten hatte. Er war bloß darüber glücklich, daß die drei Ärzte einmütig ihre Einwilligung zur Reise nach Lourdes erteilten. Es genügte ihm zu wissen, daß sie geheilt werden konnte. Er hätte sie bis an das Ende der Welt begleitet.
    Ach, jene letzten Tage in Paris, in welcher Aufregung hatte er sie verbracht! Der nationale Pilgerzug war zum Aufbruch bereit. Er war auf den Gedanken verfallen, Marie in das Hospital aufnehmen zu lassen, um die großen Kosten zu ersparen. Dann hatte er seinen eigenen Eintritt in die Hospitalität von Notre-Dame de Salut durchgesetzt. Herr von Guersaint brannte vor Verlangen, die Pyrenäen kennenzulernen. Im übrigen bekümmerte er sich um gar nichts, nahm es ruhig an, daß der junge Priester für ihn die Reise bezahlte und sich seiner wie eines Kindes annahm. Seine Tochter Blanche hatte ihm noch im letzten Augenblicke ein Zwanzigfrankstück zugesteckt. Er hielt sich daher für reich. Die arme, heldenmütige Blanche besaß einen verborgenen Schatz, fünfzig Frank Ersparnisse, die man hatte annehmen müssen, denn auch sie wollte etwas zur Heilung ihrer Schwester beitragen. Sie konnte nicht mitreisen, da sie durch ihre Stunden in

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