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Lourdes

Lourdes

Titel: Lourdes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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vollständiger Bruch eingetreten, er sah ihn nicht mehr wieder, seitdem er sich in seine chemischen Studien verschlossen und wie ein Menschenfeind ein kleines Haus mit seiner Geliebten und zwei großen Hunden bewohnte. Dann nahm sein Träumen wieder eine andere Richtung, und er dachte an den Prozeß, in dem man gegen Guillaume den Verdacht ausgesprochen hatte, er unterhalte zu den gewalttätigsten Revolutionären gefährliche Beziehungen. Man erzählte, daß er auf Grund langer Forschungen die Formel eines schrecklichen Explosivstoffes entdeckt hatte, von dem ein Pfund schon eine Kathedrale in die Luft gesprengt haben würde. Und Pierre dachte jetzt an die Anarchisten, die Weit durch Zerstörung erneuern und erretten wollen. Das waren nur Träumer, und zwar schreckliche Träumer, aber es waren Träumer wie die unschuldigen Pilger, deren verzückte Herde er vor der Grotte hatte knien sehen. Wenn die Anarchisten, die Sozialisten heftig die Gleichheit, die gemeinsame Verteilung der Güter dieser Welt forderten, so verlangten die Pilger unter Tränen die Gleichheit in der Gesundheit, die brüderliche Teilung der Kraft und des Wohlbefindens. Diese rechneten auf das Wunder, die anderen wandten sich an die gewaltsame Tat. Im Grunde genommen war es derselbe übertriebene Traum der Brüderlichkeit und Gerechtigkeit, das ewige Verlangen nach Glück: es sollte keine Armen, keine Kranken mehr geben, alle sollten glücklich sein. Waren in den alten Zeiten die ersten Christen nicht auch Revolutionäre inmitten der heidnischen Welt, die sie bedrohten und die sie in der Tat zerstört haben? Sie, die man verfolgt, die man auszurotten versucht hat, sind heute harmlos, weil sie der Vergangenheit angehören. Die Schrecken einflößende Zukunft bildet stets der Mensch, der von der kommenden Gesellschaft träumt. Heute ist es der im Wahn der sozialen Erneuerung befangene Mensch, der den großen schwarzen Traum hat, alles durch die Flamme der Feuersbrünste zu reinigen. Das war ungeheuerlich. Aber wer konnte es sagen? Vielleicht lag darin die Zukunft der Welt.
    Betäubt, in Ungewißheit versinkend, machte Pierre, der einen Abscheu vor der Gewalttat hatte, gemeinsame Sache mit der alten Gesellschaft, die sich verteidigte, ohne sagen zu können, auf welcher Seite sich der Messias der Sanftmut erheben würde, dessen Händen er die arme, kranke Menschheit übergeben wollte. Eine neue Religion, ja, eine neue Religion! Es war nicht so leicht, eine zu erfinden, und er blieb unentschlossen und wußte nicht, für wen er sich entschließen sollte, für den antiken Glauben, der tot war, oder den jungen Glauben, der erst noch geboren werden sollte. In seiner tiefen Traurigkeit war er nur dessen sicher, daß er seinen Schwur halten würde, als ein Priester ohne Glauben, der über den Glauben der anderen wacht, der keusch und ehrenhaft seinen Beruf erfüllt in der stolzen Traurigkeit, daß er nicht auf seine Vernunft hatte verzichten können, wie er auf die Rechte seines Körpers verzichtet hatte. Und er wollte warten.
    Der Zug rollte durch große Parkanlagen dahin, die Lokomotive stieß einen langen Pfiff aus, eine ganze Fanfare von Fröhlichkeit, die Pierre seinen Betrachtungen entriß. Um ihn herum kam der Wagen in Bewegung und belebte sich. Man hatte eben Juvisy verlassen, endlich, in kaum einer halben Stunde, kam Paris. Jeder brachte seine Sachen in Ordnung, die Sabathiers schnürten ihre kleinen Pakete zusammen, Elise Rouquet warf einen letzten Blick in den Spiegel. Einen Augenblick beunruhigte sich Frau von Jonquiere wegen der Grivotte und beschloß, sie in dem schrecklichen Zustande, in dem sie sich befand, direkt nach einem Hospital zu fahren, während Marie sich bemühte, Frau Vincent aus dem Stumpfsinn aufzurütteln, der sie nicht verlassen zu wollen schien. Herrn von Guersaint, der immerzu geschlafen hatte, mußte man wecken.
    Nachdem Schwester Hyacinthe in die Hände geklatscht hatte, stimmte der ganze Wagen das Te Deum, den Lobgesang der Gnadenhandlungen an: Te Deum laudamus, te Dominum confitemur. Mit einer letzten Inbrunst stiegen die Stimmen empor, alle diese glühenden Seelen dankten Gott für die wunderbare Reise, für die herrlichen Gnadenbeweise, mit denen er sie überhäuft hatte und in Zukunft überhäufen würde.
    Unter dem großen, reinen Himmel sank langsam die Sonne. Über dem ungeheuren Paris erhoben sich feine Dämpfe, rötliche Dämpfe in leichten Wolken, ein dichter, wallender Atem des an der Arbeit schaffenden Riesen. Es

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