Lourdes
leises Wehklagen noch immer fortdauerte. Die anderen, die gehen konnten, drängten nach den Türen hin, um auszusteigen, in der Absicht, nach siebenstündiger Fahrt nur einen kurzen Augenblick aus diesen Wagen voll Jammer und Elend herauszukommen. Frau Maze war sofort beiseite geschlichen und hatte einen einsamen Winkel des Bahnhofs aufgesucht, wo sie sich wieder in ihre Melancholie vergrub. Ganz stumpfsinnig vor Schmerz hatte Frau Vêtu die Kraft besessen, einige Schritte zu tun und sich im vollen Sonnenscheine, dessen Brennen sie nicht einmal fühlte, auf eine Bank zu setzen, während Elise Rouquet, die ihr Gesicht wieder mit dem schwarzen Tuche umwickelt hatte, einen Brunnen suchte, von dem Verlangen nach frischem Wasser verzehrt. Frau Vincent wandelte, ihre kleine Rose auf dem Arm, mit langsamen Schritten auf und ab, lächelte zärtlich auf sie herab und suchte sie zu erheitern, indem sie ihr rohbemalte Bilder zeigte, die das schwerkranke Kind anstarrte, ohne etwas davon zu sehen.
Indessen hatte Pierre die größte Mühe, sich durch die Menschenmenge, die den Bahnsteig überflutete, einen Weg zu bahnen. Mehr als tausend Menschen wogten hin und her und drängten sich mühsam aneinander vorbei. Jeder Wagen hatte seine elenden Insassen herausgelassen, wie ein Hospitalssaal, den man ausräumt. Man konnte jetzt sehen, welch eine entsetzliche Menge von Leiden dieser schreckliche weiße Zug mit sich führte. Hier schleppten sich einige Kranke mühsam fort, dort wurden andere getragen und viele blieben auf dem Perron eng zusammengedrückt liegen. Schreie wurden laut und heftige Rufe, und ununterbrochen gab es ein Hasten und Drängen nach der Bahnhofsrestauration. Jeder beeilte sich, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Er war so kurz, dieser Aufenthalt von einer halben Stunde, der einzige, den man bis nach Lourdes haben sollte. Den einzig heiteren, erbaulichen Anblick mitten unter den schwarzen Soutanen, den abgetragenen Kleidern der armen Leute, die keine bestimmte Farbe mehr hatten, bot das lachende Weiß der kleinen Schwestern von Mariä Himmelfahrt, die in ihren schneeigen Hauben, Schleiern und Schürzen geschäftig hin und her eilten.
Als Pierre endlich an den Kantinenwagen in der Mitte des Zuges kam, fand er ihn vollständig umlagert. Ein Petroleumherd befand sich dort und eine kleine Kücheneinrichtung. Die Bouillon, aus konzentrierter Brühe hergestellt, kochte in schmiedeeisernen Töpfen. Von der in Flaschen eingeschlossenen kondensierten Milch war nur so viel verdünnt und genießbar gemacht worden, als wirklich gebraucht wurde. Verschiedene andere Vorräte waren auf Brettern aufgestapelt, Biskuit, Früchte und Schokolade. Aber beim Anblick der vielen Hände, die sich ihr gierig entgegenstreckten, verlor die Schwester Saint-François, die mit der Leitung der Küche betraut war, eine kleine, dicke Frau von fünfundvierzig Jahren, von gutem, frischen Aussehen, den Kopf. Sie mußte die Verteilung fortsetzen, während sie Pierre anhörte, der nach dem Arzte fragte. Als ihr der Priester nähere Erklärungen gab und von dem armen Manne berichtete, der im Sterben lag, ließ sie eine andere an ihren Platz treten, da sie selbst nach dem Unglücklichen sehen wollte.
»Liebe Schwester, ich bin auch hierhergekommen, um Sie um eine Bouillon für eine Kranke zu bitten.«
»Gut, Herr Abbé. Ich werde sie bringen. Gehen Sie nur voraus.«
Der Arzt und der Abbé beeilten sich, und tauschten unterwegs rasch einige Fragen und Antworten aus. Ihnen folgte Schwester Saint-François, welche die Tasse Bouillon vorsichtig durch die Menschenmenge trug. Der Arzt war ein brünetter Mann von ungefähr achtundzwanzig Jahren, mit dem Kopfe eines jungen römischen Cäsaren, eine Gestalt, wie sie noch den sonnenverbrannten Gefilden der Provence entsproßt. Sobald Schwester Hyacinthe ihn erblickte, rief sie erstaunt aus:
»Wie, Sie sind es, Herr Ferrand?«
Sie waren beide auf das höchste verwundert über dieses Zusammentreffen. Die Schwestern von Mariä Himmelfahrt haben die schwere Aufgabe, Kranke zu pflegen, und zwar nur die armen Kranken, die nicht zahlen können, die in elenden Dachkammern mit dem Tode ringen. Sie richten sich häuslich ein in der Nähe des armseligen Lagers, leisten den Kranken alle erdenklichen Dienste, besorgen die Küche und die Haushaltung und leben als Dienerinnen und als Verwandte bis zur Genesung oder bis zum Tode des Kranken. So hatte sich auch eines Tages Schwester Hyacinthe mit ihrem jugendfrischen,
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