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Lucian

Lucian

Titel: Lucian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Abedi
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»Brauchen Sie Hilfe?«
    Ich hörte meine Mutter stöhnen: »Ja, wenn Sie bitte den Schlüssel . . . danke. Es ist die Nummer 714. Danke. Vielen Dank.«
    Ich hörte, wie eine Tür aufgeschlossen wurde. Ich hörte meine Mutter sagen: »Liebling, wir sind da. Komm, ich trag dich aufs Bett. Gleich wird es besser.«
    Die letzten Schritte stolperte sie, schoss vor und ich fiel auf das Bett. Meine Mutter fiel neben mich, sie atmete schwer. Ich weinte noch immer, aber ich versuchte, die Augen zu öffnen. Es war sehr schwer, weil sie völlig verquollen waren. Ich rollte mich zur Seite. Die Tagesdecke des Bettes war gemustert. Mit Reitern zu Pferde. Auf rotem Untergrund.
    Janne hatte sich aufgerappelt. Sie strich mir das Haar aus der Stirn. Auch ich wollte mich aufsetzen. Das Weinen hatte nicht aufgehört, aber es war nicht mehr so anstrengend.
    Der Raum war sehr groß. Gegenüber vom Bett stand eine Couch. Sie war aus kreischend rotem Leder mit dicken Noppen. Darüber hing ein Porträt der Queen. Auf der anderen Seite war eine dunkelbraune Kommode mit einem Tablett, einem Sektkübel und vielen Gläsern.
    Die Wände bestanden aus zimtfarbenen Ziegeln.
    Ich drehte mich um. Über dem Bett hing ein Gemälde, auf dem die London Bridge zu sehen war. Die Lampen an der Decke waren Laternen aus grünem und gelbem Glas. Der Teppich leuchtete in einem kraftvollen Pink. Die Farbe biss sich mit dem Rot der Ledercouch.
    Ich schaute zu meiner Mutter, die mich unverwandt anblickte. Ihre Unterlippe zitterte, ihre Augen sahen aus, als ob sie tagelang nicht geschlafen hätte. Sie strich mir über das Haar, wieder und wieder.
    »Wölfchen. Mein Liebling. Es wird alles gut. Ich verspreche es dir. Es wird alles gut.«
    »Ja«, sagte ich und meine Stimme klang fremd. »Vielleicht hast du recht.«
    In Jannes Gesicht zuckte es. Erst nur ein bisschen, dann immer stärker. Sie presste ihre Hände vor den Mund und fing an, wie wild mit dem Kopf zu schütteln. Sie sah aus, als ob sie mit aller Kraft verhindern wollte, jetzt selbst zusammenzubrechen.
    Ich schloss für einen Moment die Augen. Meine Mutter durfte nicht anfangen zu weinen. Ich wollte das nicht sehen.
    »Mam.« Ich legte ihr die Hand auf den Arm. »Kannst du mich bitte . . . einen Moment allein hier liegen lassen?«
    Ebenso heftig, wie meine Mutter vorhin mit dem Kopf geschüttelt hatte, fing sie jetzt an zu nicken.
    »Ja«, presste sie hervor. »Ja, natürlich mein Schatz.«
    Sie stand vom Bett auf und floh ins Bad. An der Tür drehte sie sich noch einmal zu mir um.
    »Rebecca?«
    »Ja, Mam?«
    »Ich liebe dich. Ich liebe dich über alles.«
    Ich versuchte zu lächeln. »Ich weiß, Mam. Ich weiß das.«
    Ich trank einen Schluck Wasser aus der Flasche, die auf dem Nachttisch stand. Dann zog ich die Tagesdecke vom Bett, streifte mir die Schuhe von den Füßen, kroch unter die Bettdecke und machte die Augen zu.
    Ich hörte, wie die Badezimmertür zuklappte.
    Ich blieb liegen, mit geschlossenen Augen.
    Das Rauschen hinter der Badezimmertür war beruhigend. Es klang wie ein Wasserfall und es übertönte das Geräusch, das ich jetzt auf keinen Fall hören wollte, das Sperrige, Unterdrückte, das mir in den Ohren wehtat. Ich wollte nur das rauschende Wasser hören.
    Ich konzentrierte mich fest darauf.
    Ich atmete ganz ruhig, bis es endlich still wurde hinter dem Rauschen im Bad.
    Ich war auch still. Meine Schritte machten kein Geräusch auf dem Teppich, als ich zur Zimmertür ging. Auch die Tür öffnete sich lautlos. Ich ließ sie offen und ging weiter, ruhig und zügig, den Blick geradeaus gerichtet.
    Der Aufzug kam nicht. Nur die Lampe leuchtete, aber er setzte sich nicht in Bewegung.
    Ich trat einen Schritt zurück. An der Wand im Flur war ein Schild mit einer aufgemalten Treppe und einem Pfeil, der nach links führte. Unser Zimmer war rechts.
    Ich ging nach links, vorbei an ungefähr acht Türen. Vor einer stand ein großer Teewagen mit Essensresten. Es roch nach Pommes und gebratenem Fleisch. Der Flur war ziemlich schmal. Er machte einen Bogen nach rechts. Noch mehr Türen, rechts und links, aber vor mir am Ende des Flurs war der Ausgang zum Treppenhaus. Darüber war ein grünes Schild mit einem rennenden Männchen. Die Treppe wand sich in Kreisen nach unten, wie eine lange Wendeltreppe. Die Stufen waren mit Korbteppich ausgelegt. Meine Schritte machten dumpfe Geräusche, sonst rührte sich nichts.
    Sechster Stock. Fünfter Stock. Vierter Stock. Dritter Stock.
    Ich blieb stehen. Ich sah

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