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Lucy's Song

Lucy's Song

Titel: Lucy's Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bjorn Ingvaldsen
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will«, sagte ich. »Weil ja Fremde in der Wohnung sind.«
    »Das musst du nicht«, sagte die Tante.
    »Hast du keinen Bademantel?«, fragte der Onkel. »Wenn du den überziehst, bist du angezogen genug.«
    Wir aßen.
    »Oh, das war gut«, sagte der Onkel.
    »Das sagst du immer, wenn du isst«, bemerkte die Tante.
    »Ja, weil ich gerne esse«, erwiderte er.
    »Wart ihr schon mal in Paris?«, fragte ich.
    »In Paris? Was soll ich denn da?«, fragte der Onkel. »Ich kenne niemanden in Paris. Wenn ich wegfahren will, dann fahre ich in die Hütte. Dafür haben wir ja eine Hütte.«
    »Aber du warst doch mit in Italien«, sagte ich.
    »Weil ihr mich dazu überredet habt.«
    »Ich würde gern mal nach Paris fahren«, meinte die Tante.
    »Aber du kennst da doch auch niemanden«, sagte der Onkel.
    »Nein, aber ich könnte ja jemanden kennen lernen. Und mir all die berühmten Plätze ansehen. Den Triumphbogen und den Eiffelturm. Und all die Museen. Das wäre bestimmt fantastisch.«
    »Bitteschön, fahr nur«, sagte der Onkel. »Vielleicht kannst du ja deine Freundinnen dazu überreden, mit denen du im Winter immer auf die Kanarischen Inseln fährst.«
    »Die beiden, oh nein«, wehrte die Tante ab. »Die wollen nur dorthin fahren, wo sie sich sonnen können. Nie im Leben würden die nach Paris fahren.«
    »Mama will auch nach Paris. Sie möchte noch einmal den Eiffelturm in der Morgensonne sehen. Und mit einem Cabrio durch die Stadt fahren.«
    »Dann muss sie aber viel Zeit mitbringen«, meinte mein Onkel. »Da ist sicher immer Stau. Und viele ungelduldige Menschen, die hupen und schimpfen.«
    »Genau wie du, wenn wir zur Hütte fahren und jemand zu langsam fährt«, warf die Tante ein.
    »Willst du denn auch nach Paris?«, fragte der Onkel mich.
    »Ich? Na klar. Aber vielleicht noch lieber ins Disneyland. Oder nach Thailand.«
    »Vor den Toren von Paris gibt es auch ein Disneyland«, sagte die Tante.
    »Du kannst mit mir zur Hütte kommen«, schlug der Onkel vor. »Wir können sicher Makrelen fangen.«
    Nach dem Essen setzten wir uns ins Wohnzimmer. Onkel und Tante tranken Kaffee. Lucy saß auf dem Teppich und guckte Fernsehen. Es war der gleiche Zeichentrickfilm, den sie schon tausendmal gesehen hatte. Ich drehte den Ton fast ganz herunter. Lucy mag keine lauten Geräusche.
    »Meine Mutter ist gestorben, als ich noch ziemlich jung war«, erzählte der Onkel. »Wusstest du das? Ich war erst fünfzehn.«
    »War sie krank?«
    »Nein, es war ein Unfall. Meine Eltern hatten ein Boot gekauft. Meine Mutter hatte von ihren Eltern eine Hütte am Meer geerbt. Dazu gehörte ein kleines Ruderboot zum Baden oder Angeln. Es hatte auch einen Außenbordmotor, aber den haben wir nie starten können. Mein Vater hat sich dann ein größeres Boot gekauft, eines, das richtig schnell fuhr.«
    »Und mit dem ist der Unfall passiert?«
    »Ja, meine Eltern wollten ein paar Freunde besuchen, die eine Hütte weiter draußen am Fjord hatten. Spät in der Nacht oder vielleicht sogar schon am ganz frühen Morgen sind sie mit dem Boot dann zurück zu unserer Hütte gefahren. Es war noch nicht richtig hell. Mein Vater gab Vollgas und prallte auf ein Riff. Das Boot wurde aufgerissen und meine Eltern herausgeschleudert. Dann explodierte das Boot. Die Flammen standen mehrere Meter hoch.«
    »Oh je«, sagte ich.
    »Jemand an Land sah die Flammen, und mit zwei Booten sind sie rausgefahren, um zu helfen. Mein Vater lag auf dem Fels. Er hatte einige Knochenbrüche und Verbrennungen. Aber meine Mutter wurde nie gefunden.«
    »Nie?«
    »Nein, sie haben mehrere Tage nach ihr gesucht. Zuerst mit Booten, dann auch mit einem Hubschrauber. Zum Schluss kamen sogar Taucher. Aber sie war verschwunden. Bestimmt hat die Strömung im Fjord sie mit ins Meer gezogen. Vielleicht blieb sie irgendwo auf dem Grund liegen. Wer weiß.«
    »Wie unheimlich.«
    »Ja, und traurig. Stell dir nur vor, was wir für einen Schreck gekriegt haben. Ich war mit meinen Geschwistern zu Hause. Wir wurden am Vormittag von unserer Tante geweckt. Sie kam zusammen mit einem Pfarrer, um uns alles zu erzählen. Wir haben nicht geglaubt, dass das stimmt.«
    »Einem Pfarrer?«
    »Ja.«
    »Und wie ging es deinem Vater?«
    »Na, er kam natürlich ins Krankenhaus und es ging ihm bald besser. Aber er ist nie wieder ganz gesund geworden. Er konnte sich das, was passiert war, nie verzeihen. Dass er so schnell gefahren ist und vielleicht nicht ganz nüchtern war. Den Rest seines Lebens war er davon überzeugt, am

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