Lügen haben rote Haare
Bonsai-Mediziner geht kopfschüttelnd weiter. Nix wie weg hier.
Nach wenigen Minuten betrete ich die Cafeteria, in der reger Betrieb herrscht. An diversen Tischen sitzen Kaffee trinkende Menschen, die überwiegend weiße oder blaue Arbeitskleidung tragen. Im Hintergrund klappert und scheppert Geschirr, es duftet aber herrlich nach Kaffee und Gebackenem. Ich wähle einen mittig stehenden Tisch, denn hier und unter diesen Umständen kann ich mich wirklich sehen lassen. Jetzt weiß ich, warum ich niemals Medizin studieren wollte. Die anwesenden Damen tragen ihre Ringe nicht an den Fingern, sondern unter den Augen, statt Stöckelschuhen Birkenstocklatschen. So unauffällig wie möglich befördere ich eine kleine Flasche Mineralwasser aus meiner Handtasche. Was in Krankenhäusern angeboten wird, esse und trinke ich nämlich, wenn es zu vermeiden ist, grundsätzlich nicht.
Daran hat aber ausschließlich meine Mutter Schuld, die früher einmal erklärte, dass in Krankenhäusern alles verseucht sei. Egal, ob Schokolade oder Limo aus Getränkeautomaten.
» Die Bakterien sind so klein, die schaffen es sogar, in Getränkedosen zu kriechen «, hatte sie mir einmal erklärt, als ich acht war und wir unsere frühere Nachbarin, Frau Krawuttke, besuchten und ich unbedingt Limonade aus dem Automaten haben wollte. Kurz darauf verstarb Frau Krawuttke.
Im Alter von zehn Jahren lag ich dann mehrere Tage in einer Klinik, weil ich an einer Mutprobe teilnahm, die ich leider nicht bestanden hatte. Das Motto der Mutprobe lautete: Schlittschuhlaufen bei Tauwetter auf dem Teich.
Bernd-blöd war der Erfinder dieser schwachsinnigen Idee. Sieben Kinder, darunter auch meine Schwester Conny, schafften es, nicht in das Eis einzubrechen. Als ich als Letzte an der Reihe war, knarzte es kurz unter meinen Schlittschuhen. Ausgerechnet während einer einwandfreien Pirouette gab die Eisdecke nach, und ich eröffnete laut kreischend im Winter die Badesaison. Günter-schlau, der Sohn eines Feuerwehrmanns, hatte vorsorglich eine lange Leiter mitgebracht, er rettete mir also todesmutig das Leben.
Dass einzig Positive an dieser Geschichte war, dass ich in einem ›Tatütata-Wagen‹ mit Blaulicht fahren durfte. Und, dass meine Schwester Conny ganze acht Tage lang Stubenarrest plus Fernsehverbot bekam, weil sie mit ihren dreizehn Jahren so unvernünftig war, bei einer Mutprobe mitzumachen und außerdem nicht auf ihre kleine Schwester aufgepasst hatte.
Nachdem ich also dort eingeliefert worden war, verweigerte ich jegliche Nahrungsaufnahme und fand es richtig schlimm, dass ich meine Mutter daran erinnern musste, dass in Krankenhäusern alles verseucht sei. Obwohl sie kleinlaut zugab, dass sie ein klitzekleines bisschen geschwindelt hätte, weil ihr damals die Preise der Getränke in den Automaten viel zu hoch waren, blieb ich bei meiner Entscheidung. So tanzte meine liebe Mama jeden Tag in aller Frühe an und brachte frische Marmeladenbrötchen, dazu heiße Milch in einer Warmhalteflasche. Mittags und abends gab es ebenfalls Hausmannskost mit Hagebuttentee vom heimischen Herd. Natürlich verzieh ich meiner Mutter diese kleine Notlüge, aber den dadurch entstandenen Spleen kann ich bis heute nicht ablegen.
Ich überlege, ob ich aus therapeutischer Sicht ein Stück Kuchen essen soll? Ein Klitzekleines? Es ist erst 16:30 Uhr. Als ich gerade aufstehen will, sehe ich Roger, bepackt mit einer Reisetasche, auf mich zukommen. Mir bricht fast das Herz, als ich ihn sehe. Er humpelt leicht, ist recht blass um die Nase. Ich schäme mich ganz fürchterlich für das, was ich da angerichtet habe. Auf die Idee, dass ich gute Gründe habe mein Verhalten zu rechtfertigen, komme ich nicht. Erst, als er mit einem leisen Stöhnen mir gegenüber Platz nimmt, erkenne ich, dass er in Rage ist.
»Was soll das?«, fährt er mich mit leiser Stimme an.
»Was?« Ich blicke an mir herunter. »Stimmt etwas mit meinem Outfit nicht?«
»Bist du übergeschnappt? Dieses Foto an die Pinnwand zu hängen? Du hast mich zum Gespött des ganzen Hauses gemacht.«
»Kannst du beweisen, dass ich das war?«
»Fingerabdrücke?« Er grinst schräg.
Ich grinse zurück. »Abgewischt! Als wenn ich so dämlich wäre.«
»Warum hast du so ein dummes Zeug mit Li Laa geredet? Wie kommst du darauf, dich als meine Frau auszugeben, und was soll der Scheiß mit dem Porsche?«
Ich bemühe mich um einen leisen Tonfall. »Was kann ich denn dafür, dass dein … dein … Li-La-Launebär kein Deutsch
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