Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)
Problem, dass die Bevölkerung im Schnitt immer älter wird, immer weniger Menschen geboren werden und die Rentnerzahl steigt. Nur wenige können öffentlich über dieses Thema sprechen, ohne mit dramatischer Geste auf eine schreckliche Zukunft zu verweisen. Die Qualität der Prognosen, die dort bemüht werden, ist sehr zweifelhaft, worauf wir im Kapitel »Die Magie der Prognose« zu sprechen kommen. Doch selbst, wenn wir das beiseitelassen, bleibt es verwunderlich, wie konsequent hier die Yin-Seite ausgeblendet wird: nämlich der Blick zurück in die Geschichte. Dabei könnten wir dort sehen, dass wir in Deutschland im letzten Jahrhundert eine Alterung von über 30 Jahren, ein Absinken des Jugendanteils von 44 auf 20 Prozent der Bevölkerung und eine satte Verdreifachung des Rentneranteils fast problemlos gemeistert haben. Und allen Kassandrarufen zum Trotz, an denen es schon viel früher, etwa in den 1920er-Jahren, nicht gefehlt hat, hat sich die Gesellschaft ökonomisch und sozial sehr gut dabei entwickelt. Dieses Yin lehrt uns: Alterung führt keineswegs zwangsläufig zu sozialen Problemen . 7
In den Jahren um 2000 geisterten die Parolen Bürokratieabbau und Deregulierung fast täglich durch Politik und Verwaltung in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Überall wurden angeblich wirtschaftshemmende Vorschriften und
vermeintlich überflüssige Behörden abgeschafft – besonders gern im Umweltschutz. Auch die Konzerne waren betroffen: Dort schaffte man sogenannte mittlere Hierarchieebenen ab und schuf »flache Hierarchien«. Im Eifer des Auslichtens und Durchforstens übersahen die zuständigen Minister, Vorstände und ihre Berater so allerlei: zum Beispiel, dass der Abbau von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst die Arbeitslosigkeit vergrößert, also gegen das so häufig propagierte Ziel Nummer eins sämtlicher Wirtschaftspolitik verstößt. Oder dass es plötzlich kaum noch möglich war, den Gewässer- und Hochwasserschutz für den Rhein, die Elbe und die Donau zu koordinieren. Man hatte nämlich, obwohl diesen Flüssen Landesgrenzen ziemlich egal sind, alle einschlägigen Kompetenzen auf Landesebene verlagert, und damit nicht genug: Auch einige Fachbehörden der Bundesländer hatte man kurzerhand aufgelöst und deren Kompetenzen auf noch tiefere Ebenen abgeschoben. Die Folgen waren zum Teil katastrophal: Als sich beim Elbehochwasser 2002 die Behörden Sachsens und Sachsen-Anhalts mit denen von Niedersachsen koordinieren wollten, fanden sie dort keine kompetenten Ansprechpartner mehr. Die plötzliche Überflutung des Städtchens Hitzacker ist nach Meinung einiger Experten mit auf diese Panne zurückzuführen. 8
Ähnliche Phänomene gab und gibt es in der deutschen Justiz oder bei der Studienplatzvergabe nach Auflösung der früher dafür zuständigen Zentralstelle (ZVS). 9 Und natürlich bei der Deregulierung der Finanzmärkte, die 2007 bis 2009 die Welt des Kapitals in die große Finanzkrise führte. Wie viel die modische Abschaffung von Kompetenzebenen in den Konzernen mit den großen Produktpannen der 2000er-Jahre zu tun hatte (wir erinnern an Toll-Collect 2003/04, Daimler/Bosch 2005, Airbus 2006, Siemens/ICE 2008, Toyota 2010), harrt noch
der Erforschung. Wenn Sie planen, ein Amt, eine Abteilung, eine Norm oder auch nur eine Statistik abzuschaffen, ist es also ratsam, nicht nur das Yang der Kosten anzuschauen, sondern auch das Yin des Nutzens, den Ihnen diese Institution bringt.
Mein Zickzack-Kurs? Ach, das dürfen Sie nicht so ernst nehmen, Herr Wachtmeister. Ich bin Manager.
Jetzt aber genug der politischen und ökonomischen Beispiele! Auch der Alltag hat Yang-ohne-Yin-Phänomene zu bieten. Wenn bei der Freitagabend-Alkoholkontrolle vor Ihrer Stammkneipe von 500 Autofahrern letzte Woche 10 und diese Woche 15 unangenehm aufgefallen sind, kann die örtliche Zeitung tief empört titeln: »Immer mehr betrunkene Autofahrer: Polizei erwischte 50 Prozent mehr.« Alkohol am Steuer soll auch kritisiert werden, da kennen wir kein Pardon. Aber Frau Yin möchten wir Ihnen doch noch kurz vorstellen, wenn Sie sie nicht schon selber erkannt haben: »Verantwortungsbewusste Autofahrer fahren fast alle nüchtern: Waren es letzte Woche 98 Prozent, so hat sich der Anteil diese Woche nur minimal auf 97 Prozent verringert.«
Der Verkehr ist überhaupt eine ergiebige Quelle. Wer kennt es nicht, das Phänomen der » vielen Raser auf der Überholspur «? Wenn Sie auf der Autobahn die Richtgeschwindigkeit einhalten
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