Rashminder Nächte 2 (German Edition)
Rashminder Nächte 2
von Sandra Gernt
„Herr?“
Er blickte auf. Störungen behagten ihm nicht, was jeder wusste. Es musste demnach wichtig sein. Neko, sein Diener, verneigte sich tief vor ihm. Falls er Angst haben sollte, zeigte er es nicht. Gut so, die jahrelangen Mühen, diesen Mann auszubilden, waren also nicht gänzlich vergebens gewesen.
„Mein Fürst, ich habe Nachricht aus Rashmind.“ Mit einer weiteren Verbeugung legte Neko die Schriftrolle auf dem Schreibpult ab und zog sich dann lautlos zurück. Dank seiner vollständig schwarzen Kleidung verschmolz er unauffällig im Hintergrund des dunkel möblierten Zimmers.
Ungeduldig seufzend überflog er die wenigen Zeilen, die einer seiner Spione geschickt hatte. Der Alte verweigerte nach wie vor jede Kooperation. Höchste Zeit, ihn daran zu erinnern, wem er Gehorsam schuldete …
Nun, wenigstens hatte dieser greise Wirrkopf bislang noch nicht versucht, diesen rothaarigen Bengel zu beschützen. Oder ihm Geheimnisse über Dinge verraten, mit denen dieser niedliche Lockenkopf sowieso überfordert wäre.
Ein wenig zögerte er, was er jetzt tun sollte. Er brauchte dieses Artefakt, aber es gab verschiedene Wege, es zu gewinnen. Larks Handeln hatte Entwicklungen angeschoben, die das bis dahin so ruhige Spiel in Bewegung gebracht hatte.
Ein bisschen Spaß wäre gut. Das entspannt!, dachte er. Sofort legte er die Spitzen seiner langen dünnen Finger zusammen und tippte sie nachdenklich gegeneinander. Dachte er das, weil er gierig war, oder weil es tatsächlich viel Nutzen ohne Schaden bringen würde?
Beides, entschied er schließlich.
Rasch griff er zu Pergament und Feder und schrieb Anweisungen für seine Leute in Rashmind nieder.
„Neko!“
Ein Ruf genügte, sofort stand Neko vor ihm und griff stumm nach der versiegelten Schriftrolle. Die Siegelfarbe zeigte ihm, wer der Empfänger sein sollte. Neko konzentrierte sich, was seinem sonst so emotionslosen Gesicht einen wunderbar lebendigen Ausdruck verlieh. Eine Welle magischer Energien ließ die Luft knistern. Das Pergament war verschwunden. Neko schwankte leicht, es kostete viel Kraft, einen Gegenstand auf diese Weise an einen anderen Ort zu schaffen. Bleich und zittrig blickte er dann auf und nickte ihm zu. Höchste Zeit, dass er ihm wieder gestattete, nachts zu ihm zu kommen, sonst würde Neko zu schwach für solche nützlichen Aufgaben werden. Auch, wenn er gerade nach gänzlich anderen Vergnügungen gierte als sich mit diesem hageren Blondschopf durch die Laken zu wälzen.
Bald, beschied er sich selbst. Geduld war so wichtig, gleichgültig, was man plante. Geduld zahlte sich stets aus.
„Komm her!“, befahl er Neko. Allein der Anblick von verzweifelter Abscheu, sofort abgelöst von aus tiefster Seele empfundener Dankbarkeit, die für einen langen Moment das Gesicht seines Lieblingsschülers erhellten, war es wert, sich solchen zeitraubenden Störungen zu widmen. Man musste seine Dienerschaft bei Laune halten. Nur Narren versuchten, ihre Untergebenen allein mit Grausamkeit und Angst zu beherrschen – und er war ganz gewiss kein Narr.
„Mein Fürst …“ Eifrig kniete Neko vor ihm und wartete mit geschlossenen Augen, seinen Lohn zu empfangen. Er legte ihm die Hände flach an den Kopf und schenkte ihm von seiner magischen Kraft. Jeder Zauberer besaß ein Talent, das seine größte Begabung darstellte. Es offenbarte sich stets als Erstes und verdammte ein bis dahin unschuldiges Kind zu einem Leben als Magier oder Priester. Da es immer zu dem Charakter desjenigen passte, war es oft erstaunlich leicht, das Talent eines Zauberers zu erkennen. Die allermeisten besaßen entweder Kampf- oder Heilmagie, wobei erstere Gruppe bei weitem überwog – es erforderte weder Intelligenz noch Subtilität, Feuerkugeln zu werfen; Magier waren nicht von Natur aus klüger oder feinsinniger als der Rest der Bevölkerung.
Er hingegen war mit einem einzigartigen Talent gesegnet: Er konnte Energien aus seiner Umgebung aufnehmen und in magische Kraft umwandeln. Damit konnte er zum einen nahezu unbegrenzt zaubern, ohne je zu erschöpfen, zum zweiten magische Artefakte sowohl erschaffen als auch zerstören und zum dritten einen anderen Magier all seiner Kräfte berauben – oder aber ihn stärken. Neko lächelte selig, während er mit Energien gefüttert wurde. Er war, wie alle Magier in seinen Diensten, mit Leib und Seele von ihm abhängig. Sie mochten ihn dafür hassen, dass sie süchtig danach waren,
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