Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden (German Edition)
und Tempo 120 oder 130 fahren, haben Sie den Eindruck, dass fast alle anderen Autofahrer schneller sind und Sie überholen. Doch dieser Eindruck täuscht. Sie können nämlich das Yin, also die Autos, die genauso schnell fahren wie Sie, gar nicht sehen; oder höchstens zwei davon: Ihren Vordermann und den einen Hintermann, der Sie nicht überholt. Machen Sie sich das Phänomen mit folgendem Beispiel deutlich: 20 Autos fahren mit Tempo 120 und jeweils 100 Metern Abstand von Yangheim nach Yinningen. Gleichzeitig fahren 5 Raser mit Tempo 200 und überholen dabei alle »Normalos«. Dann sieht jeder der 20 »Normalos« 2 Autos, die genauso schnell fahren wie er, und 5 Autos, also mehr als doppelt so viele, die ihn mit Tempo 200 überholen – und denkt sich: »Typisch! Die anderen fahren alle viel schneller als ich … «
Eine eklatante Yin-Blindheit kennt Jens aus Gesprächen, bei denen Autofahrer zu beweisen versuchen, dass Bahnfahren teurer sei als Autofahren . Im Frühjahr 2010 behauptete das sogar ein Marketingfachmann, ein studierter Betriebswirt, bei einem Messevortrag in Bielefeld. Wie viele andere verglich er die Kosten einer Bahnfahrkarte mit den reinen Benzinkosten der Autofahrt. Jens fragte ihn nach diversen Yins: Was ist mit dem Wertverlust des Autos, mit Versicherungsbeiträgen, Reparaturen, Ersatzteilen, Parkgebühren, Knöllchen? Nein, die werden merkwürdigerweise häufig auf Konten verbucht, die nach Meinung der Autofahrer nichts mit den Kosten einer Autofahrt zu tun haben, oder sie werden komplett verdrängt. Auch Wertverlust, Reparaturen oder Bußgelder hängen von den gefahrenen Kilometern ab, legen sich also auf jede einzelne Fahrt um.
Nach so vielen fehlenden Yins darf am Ende das Lob nicht fehlen. Positive Verstärkung nennen wir das in der Pädagogik und probieren das gleich an Ihnen aus.
Die beiden Seiten der Medaille Migration. So oder ähnlich erschien die Grafik 2004 in mehreren Tageszeitungen.
Diese Grafik über den Zuzug und Wegzug von Ausländern nach und aus Deutschland war 2004 der Presse zu entnehmen. Dankenswerterweise hat sie nicht einseitig mit den Zuzügen nach Deutschland die Panik vor der »Überfremdung«
geschürt, sondern mit den Fortzügen auch die Yin-Seite gezeigt, insgesamt also ein realistisches Bild gegeben. (Auf den Make-up-Effekt in dieser Grafik kommen wir auf Seite 39 zu sprechen.)
Für weitere positive Beispiele haben frühere Regierungen und Bundestage gesorgt. Pharmaunternehmen wurden 1976 per Arzneimittelgesetz gezwungen, neben den positiven Wirkungen auch alle unerwünschten Nebenwirkungen auf die Packungsbeilagen der Medikamente zu schreiben. 1985 hat die damalige Bundesregierung Kohl mit der Preisangaben-Verordnung sogar die Banken in ihre Schranken verwiesen. Da bei Krediten eine Angabe des Jahreszinses die tatsächliche Belastung des Kreditnehmers verschleiert, wenn die Raten monatlich zurückgezahlt werden, sorgte die Verordnung dafür, dass die Banken zusätzlich den sogenannten effektiven Jahreszins ausweisen müssen.
»Das war ja eine tolle bunte Mischung! Und was lernen wir jetzt aus alledem? Dass du ein Schnellmerker, Frechdachs und überhaupt ein toller Hecht bist, wussten zumindest die Eingeweihten schon vorher«, fragt Jens ketzerisch, aber mit freundlichem Lächeln. »Eigentlich ist es ganz leicht: Man muss nur gucken, welche wichtigen Fakten noch zum Thema gehören und nach diesen vergessenen Seiten fragen«, antworte ich, ohne auf die Stichelei einzugehen. »Zum Beispiel bei der ständigen Klage über die hohe Staatsverschuldung. Da wird ja regelmäßig übersehen, dass die Schulden der einen Partei immer auch Guthaben einer anderen Partei … « – »Stopp!« Jens wird energisch und verbannt mein nächstes Beispiel gnadenlos ins Kapitel »Übung macht den Meister« (siehe Seite 287).
1
Gerd Bosbach/Klaus Bingler: »Demografische Entwicklung und technischer Fortschritt: Droht eine Kostenlawine im Gesundheitswesen? Irrtümer und Fakten zu den Folgen einer alternden Gesellschaft«, in: Soziale Sicherheit 1/2008, S. 7.
2
Ebenda, S. 10.
3
Angaben nach Wikipedia: Waldschlösschenbrücke (Stand April 2010); dresden.de : Stadtentwicklung: Brennpunkte: Waldschlösschenbrücke (Stand April 2010).
4
Finanzierungskosten von 60 Millionen Euro (bei 7 Prozent Kreditzinsen pro Jahr) und Unterhaltskosten von 1 Million Euro pro Jahr.
5
Ver.di : Wirtschaftspolitik aktuell , Nr. 18, September 2007.
6
Deutsches Institut für
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