Lügenbeichte
keinen Hunger, aber Marina ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen. »Wir müssen was essen. Wir müssen stark bleiben. Ohne uns ist er verloren.«
»Ich bringe die Karte«, rief die Bedienung.
Josis Magen knurrte. Marina hatte recht. Sie mussten stark sein! Thomas konnte jetzt keine hungernden »Weiber« gebrauchen. Allein bei dem Gedanken an ein knuspriges Brötchen lief ihr das Wasser schon im Mund zusammen.
Marina sah Josi fordernd an. Sie wartete auf eine Antwort. Was sollte Josi schon sagen? Natürlich musste es ein Missverständnis sein. Aber was, wenn es das nicht war?
»Weißt du …«, fing Marina wieder an. »Es ist verdammt nicht einfach, mit deinem Vater zusammenzuleben. Alles geht immer nach ihm, nach seinen Arbeitszeiten, nach seinen Plänen. Ich muss mich voll und ganz nach ihm richten, wen wir einladen, auf welche Partys wir gehen und wohin wir in den Urlaub fahren. Ich will nicht immer nach Florenz oder New York. Ich will auch mal ganz faul in Mallorca am Strand abhängen oder in Florida.«
Über seinen Egoismus hatte sich Barbara früher auch immer beschwert. Das wollte Josi nicht mehr hören und erst recht nicht von Marina.
»Er ist mein Vater!«, sagte Josi. Das ließ Marina sofort verstummen.
»Ja. Ich weiß. Du hast es gut!«
»Gut? Wieso habe ich es gut?«
»Weil du seine über alles geliebte Tochter bist.«
Der Kaffee kam und die Speisekarten. Josi blätterte darin herum. War sie wirklich die über alles geliebte Tochter? Hatte Thomas diesbezüglich Marina gegenüber etwa Andeutungen gemacht? Warum sagte er ihr das dann nicht selbst?
Josi entschied sich für ein Früchtefrühstück. Marina sagte: »Für mich auch.«
»Kannst du nicht was anderes nehmen?«, platzte Josi heraus. Die Bedienung und Marina stutzten. Dann lächelte die Frau und empfahl Marina das süße Frühstück oder das Fitness-Frühstück oder das französische mit frischem Croissant. Marina bestellte das vegetarische Frühstück.
»Wieso willst du denn nicht, dass ich das Gleiche nehme wie du?«, fragte sie, als die Bedienung wieder weg war.
»Weil wir nicht gleich sind«, sagte Josi. »Du bist die Frau meines Vaters. Ich bin die Tochter. Und lass dir eins gesagt sein: Ich habe es auch nicht leicht mit Thomas. Noch nie gehabt!«
Im Nu schnellte Marinas Hand auf ihre Hand. Josi schluckte Tränen runter. Sie wollte auf keinen Fall vor Marina weinen. Sie wollte überhaupt nicht mehr weinen.
»Es tut mir leid«, sagte Marina leise. »Alles tut mir so leid. Ich habe mich dir gegenüber manchmal echt doofbenommen. Besonders am letzten Samstag. Aber ich war so sauer auf Thomas. Er war so abweisend auf der Party, ging ständig raus zum Rauchen und Telefonieren. Ich habe dann zu viel getrunken …«
Josi zog ihre Hand weg.
»Ich fand dich immer toll, Josi«, sagte Marina leise. »Du hast so eine klare Linie Thomas gegenüber. Kommst und gehst, wann es dir passt, und bist die Einzige, nach deren Pfeife er tanzt. Weißt du, ich war manchmal ganz schön eifersüchtig auf dich, weil du Thomas so um den kleinen Finger wickeln kannst. Die wunderbare Tochter, der er keinen Wunsch verwehrt.«
»Stimmt ja gar nicht! Thomas ist immer in seine eigenen Sachen versunken. Manchmal denke ich, er nimmt mich gar nicht wahr. Ja, nicht mal Lou! Nur dich, mit deinen Stöckelschuhen.«
Marina wurde knallrot. Die Bedienung kam und stellte das Früchtefrühstück vor Josi hin.
»So, hier haben wir einmal Früchte – für Sie. Und einmal Französisch – für Sie. Guten Appetit!«
Marinas Augen schwammen, Josi sah, dass sie nicht mal Kraft hatte, das Frühstück zu reklamieren, denn sie hatte doch Vegetarisch bestellt. Marina tat so, als hätte sie sich gerade verschluckt, hielt sich die Serviette vor den Mund.
»Soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen?«
»Zwei«, sagte Josi und wartete, bis die Frau weg war.
»Entschuldige, Marina, das habe ich nicht so gemeint. Es ist nur … mein Vater, also Thomas, stand immer schon auf High Heels.«
»Ich weiß«, sagte Marina. »High Heels, lange Haare,großer Busen. – Wie Lilli Sander.« Marina schnäuzte sich in die Serviette. »Weißt du, dass ich mir meinen Busen habe operieren lassen? Ich habe ihn um zwei Körbchennummern vergrößert!«
Also doch! Josi hatte es ja schon immer geahnt! Erstaunlich, dass Marina ihr das einfach so erzählte.
Marina löffelte sich Zucker in den Espresso. Ihre Finger zitterten. Sie trank den Kaffee mit einem Schluck, verzog das Gesicht und sah Josi an.
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