1429 - Totenkopf-Ballade
Die alte Bäderkultur war wieder in Mode gekommen. Die traditionsreichen Staatsbäder in Tschechien hatten einen rapiden Aufschwung erlebt. Man hatte in den Städten viel getan und renoviert. Man hatte die alten, beeindruckenden Bauten belassen und nicht stattdessen moderne Gebäude errichtet. So war es gelungen, den Charme dieser Zeit zu erhalten.
In der breiten Wanne schimmerte das Wasser wie in einem Pool.
Nicht mehr türkis, sondern hellblau, als hätte man es aus der Karibik importiert.
Wer konnte schon in seinem Bad mit einem Lüster unter der Decke aufwarten? Die wenigsten Menschen, aber in diesem Raum war es der Fall. Das Licht schien nicht zu grell, auf dem Wasser hinterließ es funkelnde Reflexe, und selbst die Wände schienen sich zu bewegen, da sich auch dort das Wellenmuster abmalte.
Durch ein ungewöhnliches Heizsystem wurde das Wasser nie kalt.
Man hielt es immer in einer bestimmten Temperatur. So konnte sich der Badende lange darin aufhalten und das Bad genießen.
Das hatte Anita Koller auch vor. Eine Stunde wollte sie mindestens im Wasser bleiben. Ihre Uhr hatte sie abgelegt, nur die kleine Goldkette am linken Fuß behielt sie an.
Was ihr nicht gefiel, war die Tür. Sehr hoch, sehr breit, sehr wuchtig. Sie bestand aus dickem Holz, und die Frau hatte immer den Eindruck, dass man diese Tür aus einem Gefängnis geholt hatte, um sie hier einzusetzen.
Eine normale Klinke war nicht vorhanden. Dafür ein Griff, der aussah wie ein Vierkantschlüssel. Er musste eine Vierteldrehung um seine Achse bewegt werden, dann war die Tür verschlossen. Im Moment stand er senkrecht, so war die Tür offen, wie Anita mit Zufriedenheit feststellte.
Auf diesen Kurlaub hatte sie sich gefreut. Auch wenn er nur zwei Wochen dauerte, sie würde ihn genießen. Nicht nur die Bäder, auch die Stadt Marienbad war ein Kleinod, das sie zu früheren Zeiten gar nicht so wahrgenommen hatte.
Da hatte noch vieles im Argen gelegen, aber jetzt zog der berühmte Badeort vor allen Dingen Touristen aus westlichen Ländern an, denn als Kurort war die Stadt recht preiswert im Vergleich zu anderen.
Einen Spiegel gab es auch.
Anita, die in die Wanne steigen wollte, musste sich umdrehen.
Zwangsläufig warf sie einen Blick in den Spiegel, drehte sich aber nicht weiter, sondern stoppte.
Sie war nicht eben narzisstisch veranlagt, aber der breite Spiegel lud einfach dazu ein, sich darin zu betrachten. Das tat sie, und sie konnte eigentlich mit sich zufrieden sein.
Mit ihren fünfundvierzig Jahren hatte sie sich gut gehalten. Okay, die blonden Haare waren nicht echt. Die Brüste hatten leider ihre alte Straffheit verloren. Sie hatte schon über eine Operation nachgedacht, war aber bisher davor zurückgeschreckt. Hinzu kam die Haut, die auch nicht mehr so glatt und zart war wie früher und sich besonders an den Innenseiten der Oberschenkel verändert hatte.
Wäre das Licht greller gewesen, dann hätte sie es genauer sehen können. Zum Glück schmeichelte die Helligkeit aus dem Kronleuchter.
Ihr Gesicht konnte sich noch sehen lassen. Keine tiefen Falten. Der breite Mund, die hoch stehenden Wangenknochen, eine nicht zu große Nase und der Blick dieser Augen hatten schon manchen Mann in seinen Bann gezogen.
Momentan hatte Anita mit Männern nichts im Sinn. Zwei Wochen nur etwas für sich tun. Entspannen, Körper und Seele neue Kraft geben, das war es, was sie brauchte.
Das Wasser lockte. Noch lag es ruhig, aber es war möglich, den Inhalt in einen Whirlpool zu verwandeln. Auch deshalb hatte sich Anita Koller für diese Wanne entschieden.
Wenn nur nicht dieses ungewöhnliche Gefühl gewesen wäre. Sie konnte selbst nicht sagen, woher es stammte. Jedenfalls war es vorhanden, und sie nahm es als Prickeln wahr. Allerdings sah sie es nicht positiv an, und darüber dachte sie schon nach.
Anita war keine Frau, die an irgendwelche Vorahnungen glaubte.
Nur hatte sie ein Leben hinter sich, das auch für einen Mann recht ungewöhnlich gewesen wäre. Sie redete selten mit anderen Menschen über ihren Beruf. Wenn sie danach gefragt wurde, gab sie an, als freiberufliche Beraterin zu arbeiten. Wen sie allerdings beriet, das verriet sie nicht.
Der gekachelte Boden war ebenfalls warm. Bevor sie in die Wanne stieg, richtete sie das blonde Haar und schob es höher, damit es nicht nass wurde, wenn sie in der Wanne lag.
Danach tunkte sie zuerst einen Fuß in das Wasser und nickte zufrieden. Das war genau die Temperatur, die sie mochte.
Die Wanne war gut
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