Luegenherz
eine Romantikerin. Du hast Ferdi idealisiert. Dabei sind die Männer alle Schweine. Das Einzige, was im Leben wirklich zählt, sind Freundinnen.«
Sie rutscht von mir weg, als hätte ich etwas Unanständiges gesagt. »Das verstehst du nicht«, flüstert sie. »Ich glaube, wir sind da sehr verschieden.«
»Nein, das sind wir nicht. Ich habe nur schon ein bisschen mehr Erfahrung als du.«
Sie richtet sich auf und rutscht noch weiter weg. Es ist ganz klar, sie will nicht weiter mit mir darüber sprechen. Das habe ich verbockt. Das mit den Männern und Schweinen war zu hart. Verdammt!
»Lass uns über was anderes reden. Wie war’s denn auf deiner Flashmob-Party?«, fragt sie, nachdem sie einen großen Schluck runtergekippt hat, aber ich habe nicht den Eindruck, dass es sie wirklich interessiert. Sie wirkt jetzt nicht mehr nur unglücklich, sondern auch nervös und mustert mich dauernd.
Ich proste ihr zu. »Es war heiß und laut und voll.«
»Auch ein Albtraum also«, sagt sie und lächelt mich zum ersten Mal heute Abend an. Dabei wird ihr Gesicht ganz weich. Also, wenn ich Ferdi wäre, würde ich mich sofort in sie verlieben. »Und wo ist dein Schlafsack?«, fragt sie.
»Ups, den hab ich vergessen.«
Ihre Augenbrauen ziehen sich zusammen, sie stellt das Bier ab und beißt sich auf ihre vollen Lippen. Was ist denn jetzt los?
»Ich will dich nicht anmachen, falls es das ist, was du denkst!«, erkläre ich ihr. »Jungs sind zwar manchmal ziemlich blöd, aber ich stehe nicht auf Mädchen.«
Hey, meldet sich eine kleine Stimme in meinem Kopf, jetzt wäre geradezu die perfekte Gelegenheit, es ihr zu sagen.
»Darum geht’s mir nicht. Ich hab bloß nicht genug Bettzeug.«
»Soll ich wieder gehen?«, biete ich an, dabei fahren um diese Zeit nur noch Bummelzüge zwischen München und Augsburg, die hundert Jahre brauchen.
Sie zögert, ich fasse es nicht. Was ist bloß los mit ihr?
»Du kannst dich da drüben duschen.« Sie deutet auf die Duschkabine.
Sie spinnt. Warum sollte ich jetzt noch duschen? Verwirrt schaue ich Ally an, doch während ich darüber nachdenke, komme ich zu dem Schluss, dass das sogar eine ganz hervorragende Gelegenheit wäre, unauffällig die Saat zu legen. Sie würde die Narben sehen, aber ganz sicher nichts sagen. Es würde ihr zu denken geben und den Boden bereiten …
Sie wischt die Hände an ihrer schwarzen Jeans ab und schaut mich dann unsicher grinsend an. »Ich meine, da unten in der U-Bahn war sicher eine Milliarde Bazillen in dem Gedrängel, oder nicht? Und die will ich nicht in meinem Bett haben.« Sie schluckt, als müsste sie gleich heulen, und zuckt dann mit den Schultern. Ich weiß nicht, wer von uns beiden eher ein Rad abhat, sie oder ich.
»Ist schon okay«, beruhige ich sie, weil ich nun Gefallen an dem Plan gefunden habe.
»Handtücher habe ich und ein frisches T-Shirt kann ich dir auch leihen.«
»Hast du auch noch Desinfektionsmittel zum Duschen und Gurgeln für mich?«, frage ich grinsend und hoffe, mein Kommentar entspannt diese merkwürdige Situation ein bisschen.
Sie lächelt. »Danke, dass du’s so cool nimmst. Mein Bruder Jury macht darüber auch immer Witze und findet, ich sollte in Therapie, aber das denke ich ja auch von ihm.«
Sie klappt die Truhe auf und reicht mir ein duftendes weißes Handtuch und ein T-Shirt. »Ich geh solange spazieren«, schlägt sie vor.
»Nein, bleib doch!« Mist, was kann ich nur sagen, um sie zu überzeugen, dass sie nicht weggeht? »Ich hab Angst, hier so ganz allein.« Etwas Besseres fällt mir nicht ein. Sie muss hierbleiben, sonst funktioniert mein Plan nicht.
»Angst?« Sie zuckt mit den Schultern. »Ich habe mich noch nie so sicher gefühlt wie hier. Man hat alles im Blick und hört, wenn jemand kommt. Ich habe vor ganz anderen Sachen Angst: vor Bazillen und engen Räumen …«, sie flüstert nur noch, »und jetzt neu im Angebot: Angst, nie den Mann zu kriegen, in den ich verliebt bin. Vielleicht sollte ich mal eine Anhängerserie zum Thema Angst machen.« Ein Schatten huscht über ihr Gesicht. »Sieht so aus, als hätten wir alle vor etwas anderem Angst.«
»Also, ich glaube nicht, dass Angst soo verschieden ist«, widerspreche ich. »Es gibt doch Sachen, die allen Angst machen: Schlangen, Spinnen, Serienkiller. Krieg. Dieter Bohlen.« Ich grinse sie an.
Sie lächelt zurück, schwach zwar, doch sie lächelt. »Da hast du recht, aber ich glaube, dass jeder auch noch so was wie eine persönliche Top Ten der Angst hat.
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