Luegnerin
Schulgeld bezahlen. Deswegen fahren sie bei Ausflügen und so auch meistens nicht mit.
Die meisten von den weißen Kids glauben nicht an Gott, die meisten von uns schwarzen schon.
Ich weiß nicht recht, was ich glauben soll, irgendwas in der Mitte. So ist es bei mir mit allem: halb schwarz, halb weiß, halb Mädchen, halb Junge knapse ich mit einem halben Stipendium rum.
Ich bin von allem nur die Hälfte.
NACHHER
Wir werden alle zur Schulpsychologin geschickt. Es gibt Einzelgespräche und Gruppentermine. Zuerst ist die Gruppe dran. Es ist ein Albtraum.
Jill Wang lässt uns die Tische wegschieben und die Stühle zu einem großen Kreis zusammenstellen. Mich hat man früher schon mal gezwungen, Jill Wang aufzusuchen.
Sie ist so ehrlich, dass es wehtut. Sie glaubt fast alles, was man ihr erzählt. Sogar meine Lügen.
Wir sitzen also im Stuhlkreis, ohne irgendwelche Tische, hinter denen wir uns verstecken könnten. Ich wünschte, ich wäre in der Bibliothek und könnte lernen.
Brandon Duncan starrt auf meinen kaum vorhandenen Busen.
Auch Sarah Washington dreht sich nach mir um. Ihr Blick bleibt irgendwo unterhalb meiner Augen hängen, aber nicht so tief wie der von Brandon. »Warum lügst du die ganze Zeit?«, fragt sie leise.
»Warum lügst du denn?«, frage ich, obwohl ich noch nie mitgekriegt habe, dass sie gelogen hätte. Ich sage es genauso leise wie sie und starre so böse wie möglich zurück und dringe mit meinem Blick durch die Poren ihrer dunklen Haut. Ich stelle mir vor, dass ich spüre, wie das Blut in ihren Adern fließt, und den Klang des Atems in ihren Lungen, die Bewegung der Synapsen in ihrem Gehirn. Da summt und brummt es nur so. »Alle lügen.«
»Wir sind hier, um über das zu sprechen, was geschehen ist, und wie wir uns dabei fühlen«, sagt die Psychologin. »Gibt es irgendetwas, das ihr sagen wollt, wegen …«
»Sprechen Sie seinen Namen nicht aus!«, ruft Sarah.
Jetzt starren alle sie an. Ihr Herz schlägt schneller und pumpt das Blut durch ihre Adern.
»Das werde ich nicht«, sagt Jill Wang. »Nicht, wenn ihr das nicht möchtet.«
Psychologen sagen immer solche Sachen. Ich war schon bei jeder Menge Psychologen. Und nicht nur bei denen, sondern auch bei Psychiatern und Psychotherapeuten. Das ist alles dasselbe. Sie sollen erreichen, dass ich aufhöre
zu lügen, aber dann glauben sie doch alles, was ich ihnen erzähle.
»Wir wollen es nicht«, murmelt Sarah.
»Die meisten von euch habe ich noch nicht kennengelernt. Erzählt mir ein bisschen was über euch. Am besten gehen wir reihum vor. Sagt das erste Wort, das euch einfällt, um euch zu beschreiben.« Dabei nickt Jill Wang mir zu.
»Wütend«, sage ich.
Sarah schaudert.
»Cool«, sagt Brandon. Einige Leute lachen.
»Heiß«, sagt Tayshawn. Er ist der beliebteste Junge an der ganzen Schule, deswegen lachen ein paar.Aber ich bin ziemlich sicher, dass er es nicht so gemeint hat. Nicht »heiß« wie in »sexy«. Eher wie in »nervös«. So als müsste er seinen Kragen lockern. Meiner juckt jedenfalls. Die Heizung ist viel zu hoch eingestellt. Die Heizungsrohre knacken und ächzen und geben ihre eigenen Statements ab.
Jeder Schüler sagt ein Wort. Keines davon stimmt.
Hinter mir ist die Tür. Weniger als zwei Meter entfernt. Ich stelle mir vor, wie ich aus dem Kreis ausbreche und über Sarah hinwegspringe, die auf ihrem Stuhl hockt und ihre eigenen Knie anstarrt. Ich kann weglaufen.
Ich werde weglaufen.
»Grau«, sagt Sarah und beendet den Kreis der Worte. Passend dazu läuft ihr dabei ganz langsam eine Träne über die Wange, bleibt weniger als eine Sekunde an ihrem Kinn hängen, bevor sie dann auf den Wollstoff ihrer Hose fällt und verschwindet.
»Will jemand darüber reden, dass …« Jill hält inne und
verschluckt Zachs Namen. »Ich habe gehört, dass er sehr beliebt war.«
»Am besten fragen Sie Micah«, sagt Brandon. »Sie war seine Freundin.«
Gelächter. Jetzt starren mich alle an, alle außer Sarah. Ihr Kopf ist noch tiefer gesunken und ihr Atem geht ganz flach, während sie versucht, mit dem Weinen aufzuhören. Sie ist kurz davor, die Fassung zu verlieren. Ich hoffe, dass sie sie verliert.
»Sehr witzig«, sagt Tayshawn und wirft Brandon einen bösen Blick zu. Ich merke, dass er es nicht glauben kann. Tayshawn ist Zachs bester Freund. Schon seit der dritten Klasse.
Ich könnte Brandon umbringen. Ich weiß, warum er es ihnen gesagt hat: um Unruhe zu stiften. Das ist typisch Brandon. Aber woher hat er es
Weitere Kostenlose Bücher