Lukkas Erbe
vermutlich, aber das bestritt er, empfand er in diesem Moment eine ungeheure Wut. Ihn hatte Miriam abgewiesen, und mit dem Idioten fuhr sie in Urlaub. Für Walter Hambloch war das die schlimmste Zurückweisung, die er je erfahren hatte.
Epilog
Zwei Jahre ist es jetzt her, und ich habe nicht wieder die gleichen Fehler gemacht wie beim ersten Mal. Natürlich schließt man in meinem Job keine Freundschaften mit Menschen, die in Mordfälle verwickelt waren und Beweise vernichtet haben.
Miriam Wagner hatte die Videobänder zerschnitten. Bedauert hat sie das nicht. Wir hätten unsere Chance gehabt, meinte sie. In diesem Punkt irrte sie sich. Die Bänder waren beim Abbruch der Hausbar hinter der Verkleidung aufgetaucht. Man bricht nicht die Einrichtung ab bei einer Hausdurchsuchung. Aber sie meinte, ich solle froh sein, dass ich es nicht gesehen hätte.
«An Lukkas Schuld hatten Sie doch keine Zweifel», sagte sie. «Die Filme hätten Ihnen nicht geholfen, Hambloch zu überführen. Oder hätten Sie gewusst, wer Bello war? Sie hätten gedacht, es solle wohl Ben heißen.»
Bis Dezember 97 lag sie im Klinikum Merheim. In den letzten beiden Wochen dort passte es ihr gar nicht mehr, dass Ben ihr nicht von der Seite wich. Er hatte Freundschaft geschlossen mit zwei Krankenschwestern.
Eine Zeit lang habe ich befürchtet, ihre Eifersucht könne irgendwann zum Problem werden, und nahm mir vor, ihr auf die Finger zu schauen. Das habe ich getan.
Ab und zu fahre ich ins Dorf und vergewissere mich, dass es Ben gut geht. Die meiste Zeit des Tages verbringt er auf Bruno Kleus Hof und hilft Patrizia im Haushalt. Die Einkäufe macht er immer noch regelmäßig mit ihr, bahnt ihr im Supermarkt den Weg zur Kasse. Und mittags sitzt er an ihrem Tisch, sie kocht sehr gut, was man von Miriam nicht behaupten kann. Er hat immer noch ein Zimmer bei Bruno, aber abends geht er nach Hause – wie ein Mann nach getaner Arbeit.
Einmal in der Woche besucht er Nicole, Antonia und seine jüngste Schwester. Nicole lebt seit gut einem Jahr auf dem Lässler-Hof, Rehbach heißt sie nicht mehr. Leicht gemacht hat sie es Achim Lässler nicht, doch das war umgekehrt auch nicht der Fall. Nicole konnte sich lange Zeit nicht eingestehen, was sie für Achim fühlte. Und es gibt immer noch Momente, da flüchtet sie auf den Friedhof und bittet Hartmut Rehbach um Vergebung, weil sie ihn in dem Glauben gelassen hatte, sie sei beim dritten Versuch einer künstlichen Befruchtung in der Arztpraxis schwanger geworden. Jetzt ist sie wieder schwanger.
Wenn sie ihr Kind hat, wird Ben wohl nicht mehr so lange bleiben. Kleine Kinder sind ihm nicht geheuer, auch den Wildfang, den Patrizia in die Welt gesetzt hat, beäugt er misstrauisch. Wenn es ihm zu viel wird, geht er – meist zu Leonard Darscheid. Dort kann er stundenlang im Atelier sitzen und seine Bilder in Holz schnitzen. Mit Konfektionsmessern arbeitet er nicht mehr. Der Künstler hat dafür gesorgt, dass er geeignetes Werkzeug bekommt. Leonard Darscheid fördert ihn nach Kräften, bei seiner nächsten Ausstellung will er sogar ein paar von den Miniaturen zeigen. Pferde mit Federbüschen auf den Köpfen und reich bestickten Satteldecken. Der Zirkus ist beinahe komplett, und Patrizia befürchtet, es könne ihn jemand kaufen wollen, oder Ben könne etwas davon verschenken.
Mir hat er etwas geschenkt, ein Holzrelief von der Art, das Walter Hambloch der Vergewaltigung von Svenja Krahl überführt hat. Es sieht auch aus wie Menschen im Wald. Aber es ist kein Wald, nur ein Baum und unendlich viele Brombeersträucher, und die beiden winzigen Gestalten dazwischen sind Trude und ich.
Manchmal besuche ich mit ihm das Grab seiner Mutter.Dann sehe ich mich noch einmal mit Trude in ihrer Küche sitzen, höre sie fragen: «Was hätten Sie gemacht, wenn er Ihr Sohn wäre?»
Ich weiß es nicht. Mein Sohn hat ein Studium begonnen, um ihn muss ich mir nicht viele Gedanken machen. Um Ben vielleicht auch nicht mehr. Er hat, was er braucht. Patrizia als junge Ersatzmutter und seinen Kumpel Bruno, Leonard Darscheid als Mentor und Nicole als guten Engel auf dem Lässler-Hof.
Um Paul hat Nicole sich vergebens bemüht, er hat seinen Groll mit ins Grab genommen, als er vor vier Monaten starb. Seitdem darf Ben seine jüngste Schwester wieder regelmäßig sehen, zweimal in der Woche, einmal auf dem Lässler-Hof und einmal mit Miriam.
Sie hat es übernommen, dem jungen Mädchen bei der Verarbeitung all der entsetzlichen Erlebnisse zu
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