Lumpenloretta
nach dem Kieselstein gebückt. „Dabei tut die Loretta doch niemandem etwas. Aber wenigstens dein Opa, der –“
Weiter ist er nicht gekommen, denn die Loretta hat das gekippte Fenster über der Haustür aufgerissen und runtergerufen: „He, ihr zwei! Wie findet ihr mich?“
Sie hat sich aufs Fensterbrett gesetzt und die Beine zum Fenster rausbaumeln lassen. Ein ferkelrosa Seidenkleid mit einem komischen Rüschensaum und langen Flatterärmeln hat sie angehabt.
„Den unmöglichen Fetzen hat mir meine Tante Erna zu Weihnachten geschenkt“, hat Locke Glatze leise erklärt, und zur Loretta hat sie raufgerufen: „Schenk ich dir gern, wenn es dir gefällt!“
„Echt und ehrlich?“ Die Loretta hat ihre Beine ins Zimmer zurückgeschwungen und ist vom Fensterbrett weg. Ein paar Sekunden später ist sie zur Haustür raus, hat sich neben Locke gesetzt, sie umarmt und geküsst. Locke hat es stocksteif über sich ergehen lassen, und Glatze ist hilflos vor den beiden gestanden.
Endlich hat die Loretta von Locke abgelassen und hat gefragt: „Radeln wir zum Badeteich rüber?“ Dabei ist der Himmel voll dunkelgrauer Wolken gewesen.
Locke hat gesagt, dass sie etwas anderes vorhat. Die Loretta hat drauf gesagt, dass sie auch gern etwas anderes mit Locke macht, und hat wissen wollen, um was es gehen soll.
„Tut mir leid, aber da kannst du wirklich nicht dabei sein“, hat Locke geantwortet. Dass ihr das nicht leicht gefallen ist, kannst du glauben. Locke ist keine, die gern unfreundlich zu anderen ist und sie kränkt. Aber die Loretta hat ohnehin nur kurz traurig geschaut, dann hat sie Glatze gefragt, ob er mit ihr zum Badeteich radeln will.
„Zum Badeteich?“ Glatze hat zum Himmel geschaut. Der war jetzt nicht nur voll dunkelgrauer Wolken, am Horizont hat es auch gewaltig wettergeleuchtet.
„Ich glaube, gleich wird es zu regnen anfangen. Und ein Gewitter ist auch im Anmarsch!“
Die Loretta hat gelacht. „Schwimmen, wenn der Regen so richtig aufs Wasser platscht, ist echt lustig!“
„Besonders bei Gewitter!“, hat Locke gesagt und ist aufgestanden. „Weil das Wasser die Blitze anzieht! Das ist dann irre prickelnd, wenn so ein Blitz durch dich durchsaust!“
„Wirklich?“, hat die Loretta gefragt.
„Hundertpro wirklich!“, hat Locke gesagt, ist ins Haus rein und hat die Haustür hinter sich zugeknallt.
Die Loretta hat Glatze verstört angeschaut. „Was hat sie denn? Habe ich etwas Falsches gesagt?“
„Nein, nein. Wahrscheinlich hat sie Ärger mit ihrer Mutter oder so“, hat Glatze gelogen.
Die Loretta hat zur zugeknallten Haustür geschaut und Glatze gefragt, ob sie reingehen und Locke trösten soll. Glatze hat den Kopf geschüttelt und der Loretta erklärt, dass Locke ein bisschen komisch ist und sich nicht gern trösten lässt. Sonst nimmt sich Glatze nie die Mühe, zu lügen. Wenn er nicht die Wahrheit sagen will, hält er einfach den Mund. Für ihn ist die Loretta der erste Mensch gewesen, für den sich das Lügen gelohnt hat.
„Schade“, hat die Loretta gesagt. „Ich bin im Trösten nämlich echt gut. Den Hank, wenn der geheult hat, habe nur ich trösten können. Sonst niemand.“
„Wenn wir zum Teich wollen, bevor das Gewitter da ist, müssen wir los“, hat Glatze gedrängt. „Ich hol schnell Badetücher! Bin gleich wieder da!“
Glatze ist heimgeflitzt und hat hurtig zwei Badetücher und eine Badehose in seine Sporttasche gestopft. Fast hätte er es geschafft, zur Haustür rauszukommen, ohne seiner Mutter zu begegnen. Die Türklinke hat er schon in der Hand gehabt, da ist seine Mutter – wie der Kuckuck aus der Uhr – aus der Küche geschossen und hat gekeift, dass sie diese neuen Sitten nicht einreißen lassen wird und es nicht duldet, dass sich ihr werter Herr Sohn, ohne zu sagen, wohin er geht, einfach „vertschüsst“. Auf der Stelle will sie wissen, wo er heute am Morgen hingeradelt ist, und wohin er jetzt schon wieder will. „Heut in der Früh war ich im Einkaufszentrum, und jetzt radle ich zum Badeteich!“, hat Glatze gesagt und die Türklinke runtergedrückt.
„Bist du nicht bei Trost? Gleich ist das Gewitter da! Wasser zieht Blitze magisch an!“, hat die Glatze-Mutter gekreischt. Und ein ferner, aber gewaltig grollender Donner ist ihr hilfreich beigestanden.
„Ich schau mir eh nur vom Ufer aus an, wie das Wasser Blitze magisch anzieht!“, hat Glatze grinsend gesagt und ist zur Tür raus. Dass seine Mutter hinter ihm her jappelt, ist nicht zu befürchten
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