Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
Erster Teil
Trinidad
im Jahre 1868
Erstes Kapitel
I ch sollte glücklich sein. Ich muss glücklich sein. Warum gelingt es mir nicht?«
Hermann Pescador trocknete mit Löschsand die Eintragungen in seinem Tagebuch und seufzte. Heute war der 15. Oktober 1868, ein ganz gewöhnlicher Tag, der sich bisher in nichts von den zweitausend vergangenen Tagen unterschied. Im Spiegel, der über dem Kamin hing, sah er sein Gesicht. Schmal, beinahe hager, mit dunklen Brauen über den viel helleren Augen. Ein gepflegter Bart verbarg die zärtlichen Lippen, die viel zu oft im Ärger zusammengepresst waren. Sein Haar trug er zurückgekämmt, und die Pomade ließ es dunkler erscheinen, als es war. Hermann suchte seinen Blick, als wolle er in seinen Augen lesen, was sein Kopf ihm nicht verriet.
Er dachte an die letzten fünf Jahre zurück und musste zugeben, dass er von Fortuna verwöhnt worden war. Es war so viel passiert in der Welt, er hatte in den Zeitungen davon gelesen. Vor drei Jahren war der Bürgerkrieg in den USA zu Ende gegangen. Die Nordstaaten, die Yankees, hatten gesiegt und die Sklaverei in den Südstaaten abgeschafft. Gleich darauf, als Antwort sozusagen, hatte sich ein Geheimbund mit dem Namen Ku-Klux-Klan gegründet, der gegen die Neger kämpfte. Hermann konnte darüber nur lächeln, und insbesondere, als er in einem Magazin aus Deutschland las, dass ein Komponist eine Oper mit dem Namen »Die Afrikanerin« geschrieben hatte. In Europa hatte es nie Sklaverei gegeben. Kein Wunder, dass die Menschen dort sentimental wurden, wenn es um Sklaven ging. Hermann selbst hatte die Abschaffung der Sklaverei weder begrüßt noch getadelt, schließlich beschäftigte er selbst eine große Anzahl von Sklaven auf seinem Ingenio. Doch er wusste, dass es ein weiter Weg von einem Gesetz bis zu dessen Umsetzung war. Und er wusste auch, dass die Sklaven in Amerikas Süden weiterhin auf den Farmen schufteten. Was sollten sie auch sonst tun? Sie mussten essen, sie mussten trinken, sie mussten irgendwo leben. Sie bekamen Kinder, sie wurden alt, sie starben. Das war auf Kuba nicht anders als in Amerika. Irgendjemand musste für die Sklaven sorgen, ihnen Arbeit geben. Unter welchem Namen das geschah, war letztendlich gleich. Da lobte er sich doch Europa. Dort geschahen die wichtigen Dinge. In Berlin, hatte er gelesen, gab es nun die erste Pferdestraßenbahn und außerdem eine Rohrpostanlage, mit der Nachrichten innerhalb eines Hauses in Windeseile befördert werden konnten. Das waren die Dinge, die Hermann beeindruckten und an denen er zu gern teilgehabt hätte. Aber er saß nun einmal in Trinidad, und wenn er es recht bedachte, dann tat er es auf gar keinen Fall ungern.
Mit seinen achtundzwanzig Jahren besaß er eine der größten Zuckerpflanzungen auf der Insel, war mit der schönsten und klügsten Frau verheiratet, die sich denken ließ – und doch hatte er das Gefühl, dass ihm etwas Entscheidendes fehlte.
Vor zehn Jahren war er mit seiner Schwester Titine auf die Insel gekommen. Ohne Geld, ohne Zukunftspläne, einzig auf der Flucht vor der Apothekertochter Wilma, die ihm nicht nur nachstellte, sondern obendrein noch behauptete, von ihm schwanger zu sein.
Auf der Überfahrt von Hamburg nach Havanna hatte er den Kaufmann Joachim Groth kennengelernt und in dessen deutsch-kubanischer Niederlassung der Firma Groth, Jessen und Krischak alles gelernt, was es als Kaufmann zu lernen gab. Bald schon hatte er das Vertrauen Groths erworben, und auch Titine schien endlich glücklich zu sein. Nach einem Brand im Elternhaus hatte sie nicht nur Vater und Mutter verloren, sondern obendrein noch ihre Sprache. Grazia, eine alte Kreolin, hatte sich rührend um das stumme Kind gekümmert, doch auch ihr gelang es nicht einmal mit den Kräften des Voodoo, Titines Sprachlosigkeit aufzuheben. Aber etwas anderes geschah, das sich Hermann bis heute nicht erklären konnte: Titine, das schmale, blasse Mädchen mit den hellen Haaren, wurde von den Schwarzen regelrecht angebetet. Es hieß von ihr, sie sei die Tochter Yewas, einer Voodoo-Göttin, die für Keuschheit und den Tod stand. Es gab viele, die sie fürchteten; und eben das bedeutete auch Gefahr für Titine.
Die Geschwister waren noch kein Jahr auf der Insel, als sich Hermann in Marisol verliebte, die Tochter eines Brauereibesitzers. Vielleicht hätte er mit ihr glücklich werden können, doch plötzlich tauchte die Apothekertochter Wilma in Havanna auf und behauptete, dass ihr kleiner Junge Hermanns
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