Lust auf Lust: Intime Geständnisse
liebsten mit meinem vollen Gewicht ans Bein hängen möchte - beide Arme fest drumherumgewickelt und mein Gesicht gegen sein Hosenbein gepresst -, um ihm meine Absichten deutlich zu machen. Angesichts der Tatsache, dass solche Aktionen weit unter meiner Würde sind (natürlich mit Ausnahme der paar Mal, bei denen ich mich in meiner kindlichen Begeisterung versehentlich betrunken hatte und am Ende sogar die Beine des Barhockers innig umarmte), muss ich es auf eine etwas subtilere Art anpacken.
Ich bringe mein Arsenal an gefährlichen, entwaffnenden Tricks in Stellung. Verständnisvoll nickend (Signal: Ich bin intelligent, ich kapiere alles) lege ich ihm die Hand kurz auf den Arm (Signal: Vertrauen, körperlicher Kontakt). Während ich ihm tief in die Augen starre (Signal: Intimität und Spannung), befeuchte ich kurz meine Unterlippe (Signal: Richtungsanzeiger). Aus den Augenwinkeln sehe ich mich plötzlich selbst im Spiegel: In Wirklichkeit ähnelt mein Verständnis signalisierender Kopf einer hysterischen Erdölpumpe und liegt meine inzwischen schon ein bisschen feuchte und klamme Hand nun schon seit zehn Minuten auf seinem Arm - Warum habe ich vergessen, sie wegzunehmen? - und erinnert an den letzten, verzweifelten Schrei eines Borderline-Patienten um Mitleid. Mein starrer Blick schweift jetzt zwar ab, aber vor dem manischen Augenzwinkern dürfte wohl jeder die Flucht ergreifen, und mein Lippenlecken, das bedauerlicherweise gerade im Spiegel zu sehen war, ähnelt eher der nassen Zunge einer wiederkäuenden Kuh. Ich würde nicht mal selber mit mir im Bett liegen wollen.
Ich kann’s nicht. Flirten. Es ist zu schwierig. Ich kann keine Signale aussenden, die auf eine sexy und unterschwellige Art meine Absichten zu erkennen geben. Wenn ich bewusst probiere, diese Dinge einzusetzen, dann merke ich einfach, wie idiotisch das aussieht. Unbewusst flirten, das kann ich allerdings gut - das ist wieder die personifizierte Diskrepanz, die Renske heißt. Wenn ich wirklich mal flirte, dann ist das etwas, das ganz von selbst kommt. Ich sehe den Leuten immer direkt in die Augen, weil ich nicht so gut weiß, auf welchen Teil des Gesichtes ich mich sonst konzentrieren soll. Auch bin ich eine unverbesserliche Anfasserin: Bei einem Gefühl von totalem Einverständnis muss einfach kurz in Beine oder Oberarme gekniffen werden. Ich werfe wie ein wild gewordener Karnevalsprinz mit unbeabsichtigten Flirts nur so um mich. Was mich dann auch oft in ziemlich unbehagliche Situationen bringt.
Aber auf der anderen Seite bin ich hoffnungslos gehandicapt: Ich bin dyslektisch in Bezug auf Körpersprache. Weswegen ich eigentlich Anspruch auf sprachliche Unterstützung haben sollte, zum Beispiel auf einen ständigen Übersetzer oder Souffleur an meiner Seite. Ich bin jemand, der einen ganzen Abend lang nur mit einem Typen quatscht - was sich konversationstechnisch eigentlich nur im Ausstoßen von heiserem Keuchen äußert - und es dann am Ende bizarr findet, wenn er mir in den Hintern kneift. Ich bin jemand, der überall herumposaunt, dass meine Lehrerin garantiert lesbisch ist, weil ich »superstarke erotische Vibes« empfangen hätte. Um dann dahinterzukommen, dass sie schon seit fünf Jahren einen Freund hat.
Mein innerer Kampf in der Kneipe setzt sich in meinem Kopf ausgiebig fort. Ist es anmutig und charmant, Zigarettenrauch durch die Nase zu blasen, französisch kokett, oder sehe ich dann eher aus wie ein wüst schnaubendes Nilpferd? Plötzlich fällt mir etwas auf: Er hat seine Hand um einen Millimeter näher gelegt. Vielleicht eine kleine Ortsveränderung für die Hand, aber eine große für die ganze Sache. Für einen Augenblick denke ich: eine Belebung. Eine Ermutigung. Ein Zeichen. Aber schnell probiere ich, die Sache objektiv zu betrachten und meine Lehren aus all den Körben zu ziehen, die ich mir durch meine systematisch falschen Interpretationen schon eingehandelt habe. Wegen eines einzigen Millimeters können noch keine Aktionen unternommen werden. Und, was auch nicht völlig zu vernachlässigen ist, Menschen verschieben schon mal ihre Hände, meistens ohne sich darüber bewusst zu sein, ob es sie bestimmten Objekten näher bringt oder von ihnen entfernt.
Und so verflüchtigt sich mein aufkeimender Mut wieder, zusammen mit meinen guten Vorsätzen. Den ganzen Abend stümpern wir weiter. Wir lachen, sehen uns in die Augen - bloß nicht zu lange - fassen uns hin und wieder an, und auch meine Lippen werden ein paar Mal
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