Lux perpetua
Teufel muss ihm wohlseine Vernunft und seine Schläue gestohlen haben, für die er einst so bekannt war. Anstatt nach Ungarn, wie er sollte, hat
er dich nach Böhmen gebracht, dich zu den Hussiten geschleppt
. . .
«
»Er hat mich nicht dorthin geschleppt. Ich bin von selbst zu den Utraquisten gegangen. Aus eigenem Willen und eigenem Entschluss,
nachdem ich mir dies vorher lange und gründlich überlegt hatte. Und ich bin sicher, dass meine Entscheidung richtig war. Die
Wahrheit ist auf unserer Seite. Ich nehme an
. . .
«
Der Kanonikus hob erneut die Hand und hieß ihn schweigen. Ihn interessierte nicht, was Reynevan vermutete. Sein Gesichtsausdruck
ließ diesbezüglich keinen Zweifel zu.
»Wie gesagt, ich kann mir schon vorstellen, was dich nach Breslau geführt hat«, sagte er schließlich und hob den Blick. »Ich
habe es unschwer erraten, denn deine Gründe sind allgemein bekannt, man spricht von nichts anderem mehr. Deine neuen Brüder
im Geist und im Glauben, deine Freunde und Kumpane sind bereits seit zwei Monaten dabei, das Glatzer Land und Schlesien zu
zerstören. Seit zwei Monaten morden, brennen und rauben deine Confratres im Kampf um Wahrheit und Glauben, die Waisen unter
Královec. Münsterberg, Strehlen, Ohlau und Nimptsch haben sie niedergebrannt, das Kloster von Heinrichau mehr als ausgeplündert,
die Gegenden an der Oder ausgeräubert und verwüstet. Jetzt belagern sie Schweidnitz, wie es heißt. Und da erscheinst plötzlich
du in Breslau.«
»Vater
. . .
«
»Schweig! Sieh mir in die Augen: Wenn du als hussitischer Spion, Saboteur oder Emissär gekommen bist, dann verlass sofort
mein Haus. Versteck dich woanders. Nicht hier, unter meinem Dach.«
»Deine Worte haben mir wehgetan, ehrwürdiger Vater.« Reynevan hielt dem Blick stand. »Dass du denken könntest, ich wäre zu
solch einer Schandtat fähig. Allein der Gedanke,ich könnte dich einem Risiko aussetzen, dich in Gefahr bringen
. . .
«
»Du hast mich bereits einem Risiko ausgesetzt, mich in Gefahr gebracht, indem du hierhergekommen bist. Mein Haus könnte unter
Beobachtung stehen.«
»Ich war vorsichtig. Ich kann
. . .
«
»Ich weiß, dass du kannst«, unterbrach ihn der Kanonikus ziemlich schroff. »Und was du kannst. Nachrichten verbreiten sich
schnell. Sieh mich an. Und dann sag mir auf der Stelle: Bist du als Spion hier oder nicht?«
»Nein.«
»Also?«
»Ich brauche Hilfe.«
Otto Beess blickte nach oben, betrachtete die Wand und das Bild, auf dem die Heiden dem heiligen Bartholomäus mit riesigen
Zangen die Haut vom Leibe zogen. Dann bohrte sich sein Blick wieder in Reynevans Augen.
»O ja, die brauchst du!«, erwiderte er ernst. »Die brauchst du sogar sehr. Mehr, als du denkst. Und nicht nur in dieser Welt,
auch im Jenseits. Du hast es übertrieben, mein Sohn. Du hast es übertrieben. An der Seite deiner neuen Kumpane und Brüder
im Glauben warst du so emsig, dass du berühmt geworden bist. Vor allem seit Dezember letzten Jahres, seit der Schlacht bei
Altwilmsdorf. Es ist so gekommen, wie es kommen musste. Wenn ich dir etwas rate, dann, jetzt zu beten, zu Kreuze zu kriechen
und zu bereuen. Häufe Asche auf dein Haupt, aber reichlich. Sonst ist dein Seelenheil dahin. Weißt du, wovon ich rede?«
»Ich weiß es. Ich war dabei.«
»Du warst dabei? Im Dom?«
»Ich war dort.«
Der Kanonikus schwieg eine Zeit lang und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte.
»Du bist überhaupt sehr oft anzutreffen«, sagte er schließlich. »Viel zu oft, wie mir scheint. Wenn ich du wäre, würde ichmeine Besuche etwas einschränken. Zurück
ad rem
: Seit dem dreiundzwanzigsten Januar, seit
Septuagesima
, stehst du außerhalb der Kirche. Ich weiß, ich weiß, was du dazu sagst, du Hussit. Dass unsere Kirche verdorben und durch
und durch verräterisch ist und deine gerecht und rechtmäßig. Und dass dir der Kirchenbann völlig egal ist. Dann sei er dir
egal, wenn du es so willst. Hier ist weder der Ort noch die Zeit für theologische Dispute. Du bist nicht hierhergekommen,
wie ich annehme, um Beistand für deine Erlösung zu suchen. Dir geht es vermutlich um weltlichere Dinge, mehr ums
profanum
als ums
sacrum.
Also sprich. Erzähle. Vertrau mir deinen Kummer an. Und da ich noch vor der Vesper auf der Dominsel sein muss, fass dich kurz.
Wenn das möglich ist.«
Reynevan seufzte. Und erzählte. Sich dabei kurz fassend. So weit das möglich war. Der Kanonikus hörte ihn an. Bis zum Ende,
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