Lyon - A.M.O.R. 01
Bewegungen des Giganten, wie sie das Zermalmen von Steinchen und das Zerreißen von Wurzeln vernahm. Adina erstarrte, der Fels neigte sich immer weiter dem Abgrund entgegen. Ihr Platz der Ruhe hatte sich gegen sie gewendet und wollte sie ins Verderben stürzen.
Sie musste hier runter. Vorsichtig drehte sie sich zum Wald. Vor ihr klaffte ein Spalt, der sich zusehends verbreiterte. Ihr Puls dröhnte in den Ohren, übertönte das Donnern der Wellen tief unter ihr in den Grotten. Adina verlagerte ihr Gewicht nach vorn, setzte rasch Hand und Knie so weit sie es konnte Richtung rettendem Untergrund. Nur noch einen Meter. Das Knirschen des Gesteins unterhalb des Plateaus klang wie das Zersplittern von Geröll zwischen Mühlsteinen. Gleich geschafft. Plötzlich kippte der Felsbrocken unter ihr weg. Adina sprang ab.
Sie bekam gerade noch die Abbruchkante zu fassen und klammerte sich an dem Vorsprung fest. Ihre Finger rutschten. Wurzelgeflecht stach ihr ins Gesicht, Panik überschwemmte sie, puschte und lähmte sie zugleich. Der Fels schlug donnernd in der Tiefe auf, zerschellte an den Ausläufern der Klippen. Schweiß rann ihr in die Augen, ihre Arme zitterten vor Anstrengung. Ihre nackten Füße fanden keinen Halt am Gestein. Sie musste sich hochziehen. Und zwar sofort. Stockend atmete sie ein, hielt die Luft an und zog sich mit einem Klimmzug hinauf.
Jäh glitten ihre Finger ab. Ehe ihr Bewusstsein erfasste, dass sie es war, die verzweifelt schrie, stülpte sich ihr Innerstes nach außen. Sie stürzte. Windsausen und das Grollen der Wellen vermischten sich in freiem Fall mit nur einem Wort: Nein!
Ein brutaler Ruck stauchte ihren Körper völlig unvorbereitet, presste ihr die Luft aus den Lungen. Glühender Schmerz zerriss ihr Denken, vernebelte ihre Sinne. Doch der Tod hüllte sie nicht mit seinen schwarzen Schwingen ein und auch keine Ohnmacht erlöste sie von ihrer Angst, zu sterben.
Sie war nicht auf den Klippen aufgeschlagen. Ihr Leib zitterte wie unter Strom und sie wagte nicht, die Augen zu öffnen. Was würde sie sehen? Es fühlte sich an, als würde sie jemand auf dem Arm tragen. Der Todesengel? Blut rauschte ihr in den Ohren, ihr Magen drehte sich. Der Puls raste weiter in einer lebensbedrohlichen Frequenz, während ihr Verstand sich weigerte, zusammenzusetzen, was passiert sein könnte. Es half nichts. Abrupt schlug sie die Lider auf.
Sie erschrak bis ins Mark. Ein glühendes Augenpaar starrte auf sie herunter.
Der Mond beleuchtete die hohe Felsklippe, auf der sie sich seltsamerweise wieder befand. Verwirrung und blanker Horror sprengten ihre Vorstellungskraft. Das brodelnde Adrenalin peitschte sie hoch. Sie schlug um sich und spurtete los, als sie Boden unter den Füßen verspürte. Mochte Satan ihr die Veränderungen ihres Ichs auferlegt haben, jetzt würde sie diese nutzen. Sie flog regelrecht das zerklüftete Gestein hinab. Ihre Intuition versetzte sie in Schrecken, spornte sie an, noch schneller zu laufen. Was auch immer das Aufschlagen ihres Körpers am Fuße der Klippen verhindert hatte, jagte ihr mehr Angst ein als der Sturz.
Plötzlich stand ihr etwas im Weg. Sie rannte in voller Geschwindigkeit dagegen und prallte ab, wäre gestürzt, wenn Arme sie nicht festgehalten hätten. Ein Grollen erfüllte die kalte Nachtluft. Adinas Blick schärfte sich nur zögerlich. Sie sah erneut die roten Augen und schrie, doch kein Laut entwich ihrer Kehle. Eine riesige Hand hielt ihr den Mund zu, die andere zwang sie sanft, aber bestimmt, bäuchlings auf den Boden. Sie hatte keine Chance. Kräftige Finger legten ihren Kopf seitlich und drückten ihre Wange auf die Kieselsteine. Erneute Panik verlieh Adinas Muskeln Kraft, dennoch fand eine Reaktion nur in ihrer Einbildung statt, sie bewegte sich keinen Millimeter.
Das Angst einflößende Knurren des Angreifers vibrierte entlang ihres Rückens und löste eisiges Frösteln aus. Sie kniff die Lider zusammen. Es war Kraft, pure Kraft, die dicht über ihr kauerte und sie niederpresste. Sein Mund musste direkt vor ihrem Gesicht sein, weil schweres Haar und heißer Atem ihre Haut streiften, als er seine Lippen öffnete.
Lyon fuhr sich mit der Zunge über die pochenden Reißzähne. Sein Durst quälte ihn schlimmer als jede Folter, ließ ihn nur noch an eines denken, seitdem er den Menschen aufgefangen hatte. Und doch hinderte ihn sein Instinkt vehement, in tiefen Zügen von dieser Frau zu trinken, obwohl ihr Blut hitzig unter ihm wallte. Der Grund dafür
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