Macabros 011: Im Leichen-Labyrinth
die sich auf den Messerstecher stürzte und ihn
mit der rohen Gewalt zurückriß.
Ein Schrei fetzte durch die Nachtluft.
Der Messerstecher brüllte.
Ein Zeuge der ruchlosen Tat, die er hatte vollbringen wollen, die
er vollbringen mußte, um ans Ziel zu kommen! Und nur diese
Nacht war es möglich… oder er mußte wieder ein ganzes
Jahr lang warten.
Hans Leibolds Augen flackerten.
Mit diesem Gegner mußte er fertig werden. Er warf sich
sofort wieder nach vorn auf den jungen Menschen, der ihm das
auserwählte Opfer abspenstig machen wollte.
Der wie aus dem Boden emporgetauchte Gegner achtete nicht auf den
Täter, sein Interesse galt dem am Boden liegenden,
stöhnenden und blutenden Mädchen.
Der Mann, der Regina Tärsers Retter werden sollte, machte
einen großen Fehler.
Wie konnte er nur dem gefährlichen Messerhelden in diesem
Augenblick, den Rücken zuwenden?
Leibold stach zu.
Die Klinge bohrte sich bis zum Heft genau zwischen die
Schulterblätter des mutigen Retters.
*
Leibold riß die dolchartige Waffe wieder heraus und stach
abermals zu.
Es kam kein Blut!
Der Getroffene zuckte nicht mal zusammen!
Leibold zog das Messer aus dem Körper des anderen. Alles
spielte sich innerhalb von Sekunden ab.
Der Gegner warf sich herum. Seine Rechte knallte wie ein
Dreschflegel gegen die Beine des Messerstechers.
Leibold taumelte und kippte um. Der junge Mann mit den
stählernen Muskeln schnellte in die Höhe und riß den
Stürzenden wieder auf die Beine, ehe er auf den Boden zu liegen
kam.
Leibold merkte, daß er sich alles zu einfach vorgestellt
hatte, daß hier etwas geschah, das über die Grenzen seines
Begriffsvermögens hinausging.
Er kämpfte mit einem Geist!
Die Naturgesetze hatten keine Bedeutung mehr. Nach den tiefen
Wunden im Rücken hätte der Getroffene längst
zusammenbrechen müssen.
Wie in eine flexible Wachsschicht aber war die Waffe gedrungen.
Wie in Ektoplasma.
Gab es diesen Menschen, der ihm dazwischenfunkte, nicht
wirklich?
Er erhielt einen Schlag gegen das Kinn, daß ihm der Kopf in
den Nacken flog. Vor seinen Augen begann alles zu kreisen.
Sein bleiches, hartes Gesicht mit den schmalen Lippen zeigte mit
einem Mal hektische, rote Flecke, als bekäme er einen
Ausschlag.
Leibold sah noch ein zweites Mal die Faust seines Gegners
emporkommen.
Dann war es aus…
*
Der Fremde kümmerte sich um die Verletzte.
Regina Tärser merkte, wie sie aufgerichtet wurde.
»Wie geht es Ihnen?« hörte sie eine sympathische
Stimme leise.
Sie merkte, wie jemand ihre Hände betupfte.
Sie wollte etwas sagen, aber sie fühlte sich nicht imstande
dazu. Regina Tärser stand dicht vor einer Ohnmacht. Nur die
Stimme, die sie ständig hörte und die permanent auf sie
einredete, riß sie immer wieder in die Wirklichkeit
zurück.
»Es ist alles gut… Sie brauchen keine Angst mehr zu
haben! Es ist vorbei… Sie sind nicht ernsthaft verletzt. Sie
haben sich tapfer zur Wehr gesetzt.«
»Vielen Dank«, brachte sie krächzend hervor.
Sie hob den Kopf. Mit verschwommenen Augen registrierte sie ein
freundliches, gutes Gesicht. Ein junger Mensch, ein paar Jahre
älter als sie, mit dichtem, blonden Haar und blauen Augen.
»Es ist gut, daß Sie… dazugekommen sind«,
murmelte sie tonlos.
»Ich war zufällig in der Nähe. Ich werde Sie zu
einem Arzt bringen.«
Regina Tärser atmete schnell und flach und schüttelte
den Kopf. Ihr Gesicht spiegelte die Anspannung, unter der sie stand,
und die Schmerzen, unter denen sie litt.
»Das ist nicht nötig. Ich glaube, ich bin mehr
erschrocken.«
Der blonde Fremde schüttelte den Kopf. »Sie haben in das
Messer gegriffen. Auch Ihre Unterarme sind zerstochen. Sie bluten
stark. – Entschuldigen Sie bitte!«
Entschuldigung? Was sollte sie entschuldigen? Dann aber begriff
sie, was er damit meinte.
Kraftvoll riß er den Saum ihres Kleides auf und löste
ein breites Stück davon ab. Damit band er ihre Arme oberhalb der
Stichwunden und verband diese auch selbst, um die Blutungen zu
stillen.
»Ich werde Ihnen ein neues Kleid kaufen, das verspreche ich
Ihnen«, hörte sie wieder seine Stimme.
»Es ist nicht schlimm… die Hauptsache, ist, daß es
etwas nützt.« Regina konnte wieder klarer denken. Der
Schleier vor ihren Augen löste sich auf.
»Wo finde ich den nächsten Arzt?«
Sie lächelte schmerzlich. »Hier in Kumberg nicht. Im
Umkreis von zwanzig Kilometern überhaupt nicht. Dann
müßten wir schon nach Grafenau.«
»Okay, gehen wir dorthin. Dort
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