Macabros 081: Wrack der namenlosen Götter
habe den
Beweis…«
»Du bist verrückt!« fiel der Spanier wie aus der
Pistole geschossen dem Anrufer ins Wort. »Sag das noch
mal…«
»Ich habe den Beweis. Es muß die Fremden geben, von
denen die Eingeborenen erzählen – und auch das ›Alte
Schiff‹ existiert, das eine besondere Bedeutung für sie zu
haben scheint.«
»Und wie kommst du so plötzlich darauf?«
»Von plötzlich kann keine Rede sein, Juan… Der
Gedanke, daß da ’ne Menge Zündstoff liegt, macht mir
schon lange zuschaffen. Die Indianer müssen einen Grund haben,
daß sie ihr Geheimnis so schützen, damit die
Öffentlichkeit nichts erfährt. – Ich habe von einem
Gönner kürzlich einen ganzen Packen alter Zeitungen
erhalten. Die lagen jahrzehntelang auf einem Speicher und kein Mensch
interessiert sich dafür. Bei Abbrucharbeiten wurden sie
gefunden. Ich bin seit einer Woche daran, das Material zu sichten. Da
scheint es vor rund hundert Jahren schon mal jemand gegeben zu haben,
der ähnliche Dinge sammelte wie ich heute. Die meisten Artikel
hatten merkwürdige Begebenheiten um die Jahrhundertwende zum
Inhalt.
Ich bin seit einer Woche dran. Und nun habe ich das gefunden, was
ich schon immer suchte. Jemand hat das ›Alte Schiff‹
gesehen und beschrieben…«
Friedrich Chancell unterbrach sich absichtlich. Er wußte
sehr wohl, was für eine Wirkung jedes einzelne Wort auf Juan
haben würde.
»Im Jahr 1882 wurde eine Forschergruppe, die den Amazonas
aufwärts fuhr, von Wilden überfallen und niedergemetzelt.
Einem einzigen Mann gelang es, dem Massaker zu entkommen. Er schlug
sich monatelang durch den Dschungel, lebte hauptsächlich von
Früchten und Wurzeln und versuchte, den Weg in die Zivilisation
zurückzufinden. Dabei stieß er auf einen versumpften
Seitenarm des Amazonas. Versteckt hinter wild wuchernden Pflanzen,
fast völlig von Tang und Schlingpflanzen überwachsen sah er
das Wrack. Er fand an einen einzelnen Mast gekettetes Skelett.
›Es war menschenähnlich – und doch kein menschliches
Wesen‹, schreibt er wörtlich hier, Juan«, zitierte
Chancell. »Es hatte außer Armen auch Flügel. Wie ein
entführter, gefallener Engel stand er dort, und um seine
Schultern war ein leuchtend gelber Umhang gelegt, der mit
geheimnisvollen, magisch anmutenden Zeichen und Symbolen bestickt
war.«
»Die Indianer sprachen in ihren Legenden und Mythen immer von
den ›Göttern, die von den Sternen kamen, die von den
Sternen gekommen waren und ihnen ein Geheimnis
anvertrauten‹…«
»Das wäre sensationell, Friedrich«, entfuhr es Juan
Lopez Amalla erregt. »Aber der Amazona ist groß, die
Stelle nicht genau bekannt und...«
»Da muß ich dich korrigieren«, fiel der Schweizer
dem Freund ins Wort. »In dem Artikel selbst ist alles sehr
nebulös. Genaue Angaben fehlen, aber auf den Rand sind Notizen
geschrieben, die mich elektrisiert haben. Die Zahlen darauf bedeuten
nichts anderes als der Längen- und Breitengrad. Sogar der Stand
der Sonne ist eingezeichnet. Du weißt, was das
bedeutet?«
»Wenn kein Scharlatan am Werk war – dann nichts anders
als das, daß der Zeitungsausschnitt mal in den Händen
desjenigen sich befand, der ihn auch verfaßt hat. Er hat die
Angaben – möglicherweise nur für sich –
später ergänzt.«
»Du sprichst mir aus dem Herzen, Juan. So und nicht anders
muß es gewesen sein. In dem Artikel schildert der einzige
Überlebende die Strapazen seiner Irrwanderung. Als man ihn fand,
waren zwei Jahre vergangen. Philipe Laison, so hieß der Mann,
war Franzose und stammte aus Lyon. Er kehrte in die Zivilisation
zurück. Er war nur noch ein Wrack, am Ende seiner psychischen
und physischen Kräfte, ausgemergelt von Krankheiten,
Entbehrungen und Ängsten. So wird er von anderer Seite
geschildert. In diesen Berichten ist auch die Rede davon, daß
er in ›Fieberphantasien‹ sprach. – Seltsam ist nur,
daß sich seine Fieberphantasien mit Mythen der Eingeborenen
decken. Das macht mich stutzig, Juan. Da stimmt doch etwas
nicht.«
»Das heißt, du gehst der Sache so schnell wie
möglich auf den Grund?« reagierte der Spanier sofort. Er
kannte den Freund.
»Ich habe immer einen Grund zum Reisen, also bin ich stets
darauf vorbereitet. Wenn alles klappt, fliege ich morgen mittag ab.
Wann treffen wir uns?«
»Aller Wahrscheinlichkeit nach rund vierundzwanzig Stunden
später. Wie immer im Hotel ›Maya‹ in
Brasilia.«
»Dann wünsche ich dir einen guten Flug und für
heute noch eine angenehme Nacht.«
»Die hab’
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