Macho Man: Roman (German Edition)
Dinge zu denken...
• die hässliche Freundin von Gaby Haas 3
• aufgeweichte Kartoffelchips
• Johannes B. Kerner
• den Barbarossaplatz (in Köln; unbestritten unter den Top 3 der hässlichsten Plätze der Welt)
• die Ödipus-Inszenierung am Düsseldorfer Schauspielhaus 4
Warum mache ich mir eigentlich das Leben zur Hölle, nur weil ich sensibel und einfühlsam sein will?! Warum zum Teufel darf ich keine Erektion kriegen, wenn meine Traumfrau mir den Rücken eincremt? Ein brennender Neid auf alle Machos steigt inmir hoch. Ein Macho würde es einfach genießen. Und wenn er sich dann auf den Rücken dreht und sie seine Erektion bemerkt, würde er sie einfach küssen und kurz darauf wilden animalischen Sex mit ihr haben. Und ich liege hier und denke an Johannes B. Kerner. Das Leben ist nicht fair!
»So, dreh dich um.«
Ich drehe mich um. Jetzt habe ich eine Perspektive auf ihre Brüste, die an das Spätwerk von Russ Meyer erinnert. Selbst der Gedanke an den Barbarossaplatz kann nicht verhindern, dass ich erregt bin. Ich versuche, mich mit aller Kraft auf die Ödipus-Inszenierung zu konzentrieren. Ein brüllender Ödipus, der drei Stunden lang mit einem quietschenden Rollstuhl im Kreis fährt, während die anderen Griechen im Raum verteilt an Säulen verharren und ihren Text so laut in eine schäbige Fabrikhalle schreien, dass man auch beim besten Willen nichts versteht – das bekäme bestimmt von der Stiftung Warentest in der Kategorie »Erektionsverhinderungsleistung« Bestnoten.
Aber die Erinnerung an dieses Kleinod des modernen Theaters verblasst, und ich bin wieder im Hier und Jetzt. Und da kniet gerade die schönste Frau der Welt über mir und cremt mir, während ihre Haare meinen Bauch streicheln, die Oberschenkel ein. Das ist exakt der Moment, in dem ich die Kontrolle über die Steuerung meiner Blutzirkulation verliere. Und was passiert? Nichts. Aylin scheint es nicht einmal zu bemerken. Sie versorgt noch meine Unterschenkel und Füße, drückt mir die Sonnencreme in die Hand und legt sich auf den Bauch. Während ich sie sanft eincreme, kommt mir das Lied Du hast den schönsten Arsch der Welt in den Kopf. Ein viel zu primitives Lied für einen so vollkommenen Moment. Mein sexuelles Verlangen wird so stark, dass ich mir erneut den Barbarossaplatz vorstelle.
Was hatte ich für ein Pech, ausgerechnet in den 70ern aufzuwachsen. Zwei Dinge sind da passiert: Die Nazi-Vergangenheit wurde endlich aufgearbeitet, und die Frauen haben sich emanzipiert. Beides an und für sich lobenswerte Dinge. Aber als emanzipierter Mann hatte man es nicht leicht damals: Es war ein Fehler, dassman Deutscher war, und es war ein Fehler, dass man einen Penis hatte. Ein Deutscher mit Penis – die historische Arschkarte.
Genau so ein Mann ist mein Vater. Mein männliches Rollenvorbild. Jemand, der sich für seine Nationalität und für sein Geschlecht schämt. Jemand, der nervös das Zimmer verlässt, wenn bei Fußball-Länderspielen die deutsche Nationalhymne gespielt wird. Jemand, der monatelang mit einem »Zehn Jahre EMMA«-T-Shirt herumgelaufen ist.
Das ist doch unfair. Türkische Männer schämen sich weder für ihr bestes Stück noch für ihr Vaterland. Ich meine, ein Türke mit deutschem Pass könnte sich doch aus Solidarität zumindest ein kleines bisschen für die deutsche Geschichte mitschämen. Aber nix da. Nein, Türken lernen von ihren Vätern zwei Dinge: Sei stolz, ein Mann zu sein, und sei stolz, ein Türke zu sein. Türkische Väter sind Helden, die jeden Tag für eine gute Sache ihr Leben aufs Spiel setzen (mit »gute Sache« meine ich zum Beispiel: den Busfahrplan einhalten). Und was hat mein Vater mir mit auf den Lebensweg gegeben? Dass man darauf achten sollte, sich in seinen Sex-Phantasien eine gleichberechtigte Partnerin vorzustellen.
Genau so ein Blödsinn führt am Ende dazu, dass man beim Eincremen eines perfekt geformten orientalischen Popos an den Barbarossaplatz denkt. Als ich fertig bin, schaut mir Aylin lange in die Augen. Sie lächelt.
»Du bist unglaublich, Daniel.«
»Ich? Wieso?«
»Jeder türkische Mann hätte das ausgenutzt und mich bedrängt. Aber du... Du bist einfach so ... elegant.«
Bestimmt werde ich jetzt rot. Ich lächle und weiche ihrem Blick aus. Dann nimmt Aylin meinen Kopf in beide Hände und küsst mich. Auf den Mund. Ich bin so verblüfft, dass mir nicht einmal blöde Gedanken kommen. Ich spüre sanft ihre Lippen, dann ihre Zunge. Es ist ein leiser, zärtlicher Kuss.
Weitere Kostenlose Bücher