Macht (German Edition)
inwieweit ist andererseits Gedankenfreiheit eine Quelle der Macht?
Als eine britische Militärexpedition 1905 in Tibet einrückte, griffen die Tibetaner sie zunächst kühn an, weil die Lamas ihnen einen magischen Schutz gegen Kugeln verliehen hatten. Als sie dann trotzdem Verluste hatten, bemerkten die Lamas, dass die Kugeln Nickelspitzen hatten, und erklärten, dass ihr Zauber nur gegen Blei wirksam sei. Später zeigten die tibetanischen Armeen weniger Kampfgeist. Als Bela Kun und Kurt Eisner kommunistische Revolutionen durchführten, glaubten sie, dass der dialektische Materialismus für sie kämpfe. Ich habe vergessen, wie die Lamas der Komintern ihre Niederlage erklärten. Bei diesen beiden Beispielen führte Uniformität des Glaubens nicht zum Sieg.
Um in dieser Angelegenheit zur richtigen Erkenntnis zu kommen, muss man einen Kompromiss zwischen zwei entgegengesetzten Wahrheiten finden. Die erste lautet: Menschen, die in ihren Ansichten übereinstimmen, können überzeugter zusammenwirken, als wenn ihre Meinungen auseinandergehen. Die zweite heißt: Menschen, deren Ansichten mehr mit den Tatsachen übereinstimmen, können sich leichter durchsetzen als solche, deren Glauben auf Irrtum beruht. Diese beiden Axiome wollen wir untersuchen.
Dass Übereinstimmung der Zusammenarbeit hilft, ist klar. Im spanischen Bürgerkrieg war die Zusammenarbeit zwischen Anarchisten, Kommunisten und baskischen Nationalisten schwierig, obwohl alle gleichermaßen die Niederlage Francos wünschten. Ebenso, wenn auch in geringerem Maße, war die Zusammenarbeit auf der anderen Seite zwischen den Karlisten und den Faschisten des neuen Typus erschwert. Übereinstimmung und auch eine gewisse Kongenialität des Temperaments sind zur Erreichung unmittelbarer Ziele nötig; wo sie bestehen, können große Meinungsverschiedenheiten harmlos werden. Sir William Napier, der Historiker des iberischen Krieges, bewunderte Napoleon und lehnte Wellington ab; sein Buch beweist, dass er Napoleons Niederlage bedauerlich fand. Aber sein Kastengeist und sein militärisches Pflichtbewusstsein trugen den Sieg über solche rein intellektuellen Überzeugungen davon, und er kämpfte gegen die Franzosen so vorzüglich, als ob er ein richtiger Tory gewesen wäre. Nicht anders haben, als sich die Gelegenheit ergab, die britischen Tories der Gegenwart Hitler bekämpft, so wie sie es getan haben würden, wenn sie ihn nicht bewundert hätten.
Die Uniformität, die nötig ist, um einer Nation, einer Religion, einer Partei Macht zu geben, ist eine Uniformität der Praxis, die auf Empfinden und Gewohnheit beruht. Wo sie besteht, können intellektuelle Überzeugungen übersehen werden. Sie besteht in Großbritannien heutzutage, aber erst nach dem Jahre 1745. Sie bestand nicht in Frankreich im Jahre 1792 oder in Russland im Weltkrieg und in dem darauffolgenden Bürgerkrieg. Sie bestand auch ebensowenig in Spanien. Es fällt einer Regierung nicht schwer, Gedankenfreiheit zu geben, wenn sie auf Loyalität in der Aktion rechnen kann; wenn sie das nicht kann, ist die Sache schwieriger. Es ist offensichtlich, dass Propagandafreiheit während eines Bürgerkrieges unmöglich ist; und wenn eine drohende Gefahr des Bürgerkrieges besteht, ist das Argument der Propagandabeschränkung kaum weniger überzeugend. In gefährlichen Situationen gibt es daher eine starke Neigung zur befohlenen Uniformität.
Wir wollen uns nun unserem zweiten Axiom zuwenden: dass es von Vorteil ist, zu glauben, was mit den Tatsachen übereinstimmt. Soweit direkte Vorteile betroffen sind, gilt das nur für eine beschränkte Gruppe von Ansichten: erstens technische Dinge, wie die Eigenschaften von Sprengstoffen und Giftgasen; zweitens Dinge, die sich auf die jeweilige Stärke der Gegenparteien beziehen. Selbst was diese Angelegenheiten angeht, kann man sagen, dass nur die richtige Ansichten haben müssen, die über politische und militärische Operationen entscheiden: Es ist wünschenswert, dass die Masse mit Sicherheit an den Sieg glaubt und die Gefahren von Luftangriffen unterschätzt.
Nur die Regierung, die militärischen Führer und ihre technischen Stäbe müssen die Tatsachen kennen; bei allen anderen ist blindes Vertrauen und blinder Gehorsam am wünschenswertesten.
Wenn man menschliche Vorgänge wie eine Schachpartie berechnen könnte und Politiker und Generäle so klug wie gute Schachspieler wären, so wäre in dieser Ansicht Wahrheit enthalten. Die Vorteile eines erfolgreichen Krieges sind
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