Macht (German Edition)
anderes vermindert wird,
kann die Summe des Glaubens unverändert bleiben. Zur Annahme eines Glaubens mit geringem Tatbestand braucht man mehr Propaganda als für einen mit beträchtlichem Tatbestand, wenn beide gleichmäßig der Begierde entsprechen und so weiter.
Durch die Macht der Wiederholung erwerben die Machthaber die Fähigkeit, den Glauben zu beeinflussen. Offizielle Propaganda hat alte und neue Formen. Die Kirche verfügt über eine in vieler Hinsicht bewunderungswürdige Technik, die aber vor der Erfindung der Buchdruckerkunst entwickelt wurde und daher heute weniger wirksam ist, als sie einst war. Der Staat hat manche Methoden seit Jahrhunderten angewendet: der Kopf des Königs auf Münzen; Krönungen und Jubiläen; das eindrucksvolle Auftreten von Heer und Flotte usw. Aber all das ist viel weniger wirksam als neuere Methoden: Unterricht, Presse, Kino, Radio usw. Bis zum Äußersten werden diese Mittel in den totalitären Staaten angewandt, aber noch ist es zu früh, um ihren Erfolg abzuschätzen.
Ich sagte, dass die Propaganda an die Begierde appellieren muss, und das kann durch das Versagen der staatlichen Propaganda bestätigt werden, wenn sie dem Nationalgefühl entgegensteht, wie in großen Teilen von Österreich-Ungarn vor dem Krieg, in Irland bis 1922 und in Indien bis zum heutigen Tage. Propaganda ist nur dann erfolgreich, wenn sie sich mit etwas im Angesprochenen in Übereinstimmung befindet: mit seinem Wunsch nach einer unsterblichen Seele, nach Gesundheit, nach der Größe seines Volkes und nach was nicht noch sonst. Wo es keinen derartigen fundamentalen Grund zur Zustimmung gibt, betrachtet man die Versicherungen der Autorität mit zynischer Skepsis. Einer der Vorteile der Demokratie vom Regierungsstandpunkt aus besteht darin, dass der Durchschnittsbürger leichter zu enttäuschen ist, da er die Regierung als die seinige betrachtet. Widerstand gegen einen Krieg, der keinen schnellen Erfolg bringt, entsteht in einer Demokratie nicht so leicht wie unter einer anderen Verfassung. In einer Demokratie kann sich die Mehrheit erst gegen die Regierung wenden, wenn sie vor sich selber zugegeben hat, dass sie von ihren gewählten Führern früher zu gut gedacht habe – was schwierig und unangenehm ist.
Systematische, in großem Maßstab betriebene Propaganda ist gegenwärtig in demokratischen Ländern zwischen den Kirchen, Geschäftsreklameleuten, politischen Parteien, der Plutokratie und dem Staat aufgeteilt. In der Hauptsache arbeiten alle diese Kräfte auf der gleichen Seite, mit der Ausnahme von politischen Parteien in Opposition, und selbst diese werden kaum der grundsätzlichen staatlichen Propaganda entgegentreten, wenn sie auf eine Stellung hoffen können. In totalitären Ländern ist der Staat tatsächlich der einzige Propagandist. Doch trotz aller Macht der modernen Propaganda glaube ich nicht, dass im Falle einer Niederlage im Krieg der offizielle Standpunkt in breiteren Schichten akzeptiert werden würde. Eine solche Situation verleiht einer Regierung eine Art von Ohnmacht, die der vom Nationalgefühl abgelehnten Fremdherrschaft zugehörig ist, und je mehr die Siegeszuversicht ausgenützt worden ist, um das kriegerische Gefühl zu steigern, desto größer wird die Reaktion sein, wenn es sich herausstellt, dass der Sieg nicht errungen werden kann.
Man kann leicht die Macht der offiziellen Propaganda überschätzen, besonders dann, wenn es keinen Wettbewerb gibt. Wenn sie sich dazu hergibt, Glauben an falsche Behauptungen hervorzurufen, die sich mit der Zeit als falsch herausstellen werden, befindet sie sich in einer so üblen Lage wie die Anhänger des Aristoteles gegenüber Galilei. Unter der Voraussetzung von zwei feindlichen Gruppen von Staaten, von denen sich jede bemüht, Siegessicherheit zu erwecken, muss eine Seite, wenn nicht beide, eine dramatische Widerlegung offizieller Feststellungen erfahren. Wenn jede gegensätzliche Propaganda verboten ist, können die Herrschenden leicht annehmen, alles glauben machen zu können, und auf diese Weise eingebildet und sorglos werden. Lügen erfordern Wettbewerb, wenn sie ihre Wirkungskraft behalten sollen.
Macht über die Meinung neigt wie alle übrigen Machtformen zu Verschmelzung und Konzentration und wird logischerweise zum Monopol des Staates. Aber selbst vom Kriege abgesehen, wäre es übereilt, anzunehmen, dass ein Staatsmonopol für Propaganda die Regierung unverletzlich machen würde. Auf die Dauer werden die Machthaber leicht zu
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