Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Macht (German Edition)

Macht (German Edition)

Titel: Macht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertrand Russell
Vom Netzwerk:
offensichtlich gleichgültig gegenüber den Interessen des kleinen Mannes, so wie es die Päpste zu Luthers Zeiten waren. Früher oder später wird ein neuer Luther gegen die Autorität des Staates auftreten und gleich seinem Vorgänger so schnell Erfolg haben, dass es unmöglich sein wird, ihn zu unterdrücken. Das wird geschehen, weil die Herrschenden glauben werden, es könne nicht geschehen. Ob aber dieser Wechsel etwas Besseres bringen wird, ist nicht vorauszusehen.
    Die Wirkung von Organisation und Vereinheitlichung soll in der Propaganda wie in allen anderen Dingen die Revolution hinauszögern, muss aber ihre Heftigkeit steigern, wenn sie kommt. Wenn nur eine Doktrin offiziell zugelassen ist, gewöhnen die Menschen sich nicht ans Denken oder ans Gegeneinanderabwägen von Alternativen; nur eine große Welle leidenschaftlicher Empörung kann die Orthodoxie vom Throne spülen; und um die Opposition genügend in Harnisch zu bringen zur Erreichung des Erfolges, wird es notwendig scheinen, selbst das zu leugnen, was im Dogma der Regierung der Wahrheit entspricht. Das einzige, was nicht geleugnet werden wird, wird die Wichtigkeit der sofortigen Errichtung irgendeiner Orthodoxie sein, weil sie zur Erlangung des Sieges für notwendig erachtet werden wird. Von einem rationalistischen Standpunkt aus gesehen ist also die Wahrscheinlichkeit einer Revolution in einem totalitären Staat nicht notwendigerweise ein Grund zur Freude. Wünschbarer ist eine allmähliche Zunahme im Sinne der Sicherheit, die zu verringertem Eifer führt und der Trägheit Tür und Tor öffnet, der Trägheit, jener größten unter allen Tugenden eines Herrschers in einem totalitären Staat, mit der einzigen Ausnahme der Nichtexistenz.

ZEHNTES KAPITEL
DER GLAUBE ALS URSPRUNG DER MACHT
    D ie Macht einer Gemeinschaft hängt nicht allein von ihrer Zahl, ihren wirtschaftlichen Hilfsquellen und ihrer technischen Kapazität ab, sondern auch von ihrem Glauben. Ein fanatischer Glaube, den alle Mitglieder einer Gemeinschaft teilen, erhöht ihre Macht oft in hohem Maße, manchmal allerdings verringert er sie auch. Da fanatische Anschauungen heute viel mehr in Mode sind, als sie es im neunzehnten Jahrhundert waren, ist die Frage nach ihrer Wirkung auf die Macht von großer politischer Bedeutung. Ein Argument gegen die Demokratie lautet, dass eine Nation von vereinten Fanatikern mehr Erfolgschancen im Krieg besitzt als eine Nation, die einen großen Teil geistig gesunder Männer in sich birgt. Wir wollen diese Behauptung im Licht der Geschichte nachprüfen.
    Es muss zunächst bemerkt werden, dass die Fälle, in denen Fanatismus zum Erfolg geführt hat, natürlich besser bekannt sind als jene, wo er den Zusammenbruch nach sich zog, denn die Fälle des Misslingens sind verhältnismäßig dunkel geblieben. So könnte ein zu hastiger Überblick in die Irre führen; wenn wir aber diese Fehlerquelle im Auge behalten, wird sie nicht schwer zu vermeiden sein.
    Das klassische Beispiel für Macht durch Fanatismus ist der Aufstieg des Islam. Mohammed fügte dem Wissen oder den materiellen Hilfsquellen der Araber nichts Neues hinzu, und doch hatten sie wenige Jahre nach seinem Tode ein großes Reich erobert und ihre mächtigsten Nachbarn geschlagen. Ohne jeden Zweifel war die vom Propheten gestiftete Religion ein wesentliches Element beim Erfolg seiner Nation. Ganz am Ende seines Lebens erklärte er dem byzantinischen Reich den Krieg. »Die Moslems waren entmutigt; sie führten den Mangel an Geld oder Pferden oder Vorräten ins Treffen, die Erntezeit und die unerträgliche Sommerhitze: >Die Hölle ist viel heißer<, sagte der Prophet unwillig. Er verzichtete darauf, ihre Dienste zu erzwingen; bei seiner Rückkehr aber bestrafte er die am meisten Schuldigen mit einer fünfzigtägigen Exkommunikation.« (Gibbon, Kap. 50) Zu Mohammeds Lebzeiten und einige Jahre nach seinem Tode schloss der Fanatismus die arabische Nation zusammen, gab ihr im Kampf Zuversicht und verlieh Mut, indem er den im Kampf gegen die Ungläubigen Gefallenen das Paradies versprach.
    Wenn aber auch der Fanatismus die ersten Unternehmungen der Araber inspirierte, so verdankten sie die lange Serie ihrer Siege doch anderen Ursachen. Das byzantinische und das persische Reich waren beide durch lange und unentschiedene Kriege geschwächt worden; und die römischen Heere waren wie zu allen Zeiten schwach gegen Kavallerie. Die arabischen Reiter waren unglaublich wendig und an Strapazen gewöhnt, die ihre

Weitere Kostenlose Bücher