Macht (German Edition)
verwöhnteren Nachbarn unerträglich fanden. Diese Umstände waren für die ersten Erfolge der Moslems von wesentlicher Bedeutung.
Sehr bald – rascher als zu Beginn jeder anderen großen Religion – wurde der Fanatismus von der Regierung abgelöst. Ali, der Schwiegersohn des Propheten, hielt die Begeisterung in einer Gruppe der Gläubigen lebendig, aber er wurde im Bürgerkrieg geschlagen und schließlich ermordet. Die Familie der Ommiyah folgte ihm im Kalifat. Sie waren Mohammeds schärfste Gegner gewesen und hatten seiner Religion allenfalls aus politischen Gründen zugestimmt. »Die Verfolger Mohammeds usurpierten die Erbschaft seiner Kinder; und die Vorkämpfer der Götzenanbetung wurden zu Oberhäuptern seiner Religion und seines Reichs. Die Gegnerschaft des Abu Sophian (16) war erbittert und hartnäckig gewesen; seine Bekehrung kam spät und zögernd; sein neuer Glaube wurde durch Notwendigkeit und Interesse gestärkt; er diente, er kämpfte, vielleicht glaubte er auch; und die Sünden aus der Zeit der Unwissenheit wurden von den kürzlichen Verdiensten der Familie der Ommiyah abgebüßt.« (Gibbon) Von diesem Augenblick an zeichnete sich das Kalifat lange Zeit hindurch durch freidenkerische Toleranz aus, während die Christen im Fanatismus verharrten. Von Anfang an zeigten sich die Mohammedaner in ihrem Umgang mit unterworfenen Christen duldsam, und dieser Duldsamkeit – die in starkem Gegensatz zum Verfolgungseifer der katholischen Kirche stand – ist die Leichtigkeit ihrer Eroberungspolitik und die Stabilität ihres Reiches zuzuschreiben.
Ein anderer Fall von Scheinerfolg des Fanatismus ist der Sieg der Unabhängigen unter Cromwell. Man kann sich allerdings fragen, wieviel Fanatismus mit Cromwells Leistungen zu tun hatte. Im Kampf mit dem König siegte das Parlament hauptsächlich dadurch, dass es London und die östlichen Grafschaften hinter sich hatte. Sowohl die Zahl der ihm zur Verfügung stehenden Kräfte wie auch seine wirtschaftlichen Hilfsquellen übertrafen bei weitem jene des Königs. Die Presbyterianer wurden, wie es Gemäßigten in einer Revolution immer geschieht, allmählich beiseite geschoben, weil sie nicht mit ganzem Herzen den Sieg wünschten. Cromwell selbst erwies sich, als er an die Macht gekommen war, als praktischer Politiker, der aus einer schwierigen Situation das Beste zu machen versuchte; aber er konnte nicht den Fanatismus seiner Anhänger übersehen, der so unpopulär war, dass er am Ende zum völligen Zusammenbruch seiner Partei führte. Man kann nicht sagen, dass auf die Dauer der Fanatismus den englischen Unabhängigen mehr Erfolg brachte als ihren Vorgängern, den Wiedertäufern von Münster.
In größerem Maßstab läuft die Geschichte der französischen Revolution in ähnlichen Bahnen wie die des Commonwealth in England: Fanatismus, Sieg, Despotismus, Zusammenbruch und Reaktion. Selbst in diesen zwei günstigsten Beispielen war der Erfolg der Fanatiker kurzlebig.
Die Fälle, in denen Fanatismus nichts als Unglück gebracht hat, sind viel zahlreicher als jene, in denen er zu zeitweiligem Erfolg führte. Er vernichtete zur Zeit des Titus Jerusalem und im Jahre 1453 Konstantinopel, als der Westen einen Rückschlag erlitt, der auf Grund der geringfügigen doktrinären Unterschiede zwischen der östlichen und der westlichen Kirche erfolgte. Er führte den Niedergang Spaniens herbei, zunächst durch die Ausweisung der Juden und Mauren, dann durch die Empörung der Niederlande und die lange Erschöpfung der Religionskriege. Andererseits waren die ganze Neuzeit hindurch die erfolgreichsten Nationen jene, die sich am wenigsten mit Ketzerverfolgung befassten.
Trotzdem gibt es heute eine weit verbreitete Ansicht, der zufolge doktrinäre Uniformität eine wesentliche Voraussetzung für nationale Stärke sei. Diese Ansicht wird geglaubt, und ihr gemäß handelt man mit äußerster Strenge in Deutschland und Russland und mit etwas geringerer Schärfe in Italien und Japan. Viele Gegner des Faschismus in Frankreich und Großbritannien sind geneigt zuzugeben, dass Gedankenfreiheit eine Ursache militärischer Schwäche ist. Wir wollen daher diese Frage noch einmal abstrakter und analytisch behandeln.
Die Frage, die ich stellen will, ist nicht jene allgemeine: Soll man die Gedankenfreiheit ermutigen oder zumindest dulden? Es handelt sich um eine bestimmtere Frage: Inwieweit ist uniformer Glaube, ob er nun spontan oder von den Behörden befohlen ist, eine Quelle der Macht? Und
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